Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
persönlicher.«
Als er Mitte 20 war, verlieà ihn seine Freundin, die er seit seinem dreizehnten Lebensjahr geliebt und mit der er seit Jahren zusammengelebt hatte, und zwar von heute auf morgen. »Ich war â entgeistert. Kann man das so sagen?«, fragte er mich, um sich in seinem stockenden, aber gewählten Englisch mit dem starken Akzent zu versichern, dass er das richtige Wort benutzte. »Ich war schockiert. Ich litt. Und dann erzählte sie mir etwas. Sie sagte, sie sei durch ihre Entscheidung so erleichtert, dass ihre Menstruation zurückgekommen sei.« Zwei Jahre vorher hatte sie aufgehört, die Pille zu nehmen, aber ihre Periode war nicht wiedergekommen â nicht bis einen Tag, nachdem sie ihre Beziehung für beendet erklärt hatte. Sie glaubte, ihr Körper bestätige ihr, dass sie die richtige Entscheidung getroffen habe, wie schmerzhaft diese auch gewesen sei.
Er war schwer getroffen, aber es dauerte nicht lange, und sie bat ihn um eine zweite Chance, die er ihr gewährte. »Und nach einem Jahr das Gleiche noch einmal.« Sie hatte wieder angefangen, die Pille zu nehmen, sie dann erneut abgesetzt, und anschlieÃend vergingen Monate ohne Eisprung oder Menstruation. Inzwischen wurde ihr klar, dass sie wirklich nicht mit diesem Mann zusammen sein sollte, mit dem sie ihr halbes bisheriges Leben lang liiert gewesen war. Sie teilte ihm mit, es sei endgültig vorbei. Und innerhalb von ein oder zwei Tagen bekam sie ihre Periode.
Von diesem kosmischen Urteil getroffen, sprach er mit der Schwester der Frau, die zwar Mitleid mit ihm hatte, ihm aber gleichzeitig sagte, dass es selbstverständlich emotionale Gründe für lange Phasen ohne Menstruation gebe. Das alles sei zwar traurig, ergebe aber durchaus Sinn. Tuiten war damals noch kein Wissenschaftler, sondern trödelnder Student an der Universität und eigentlich seit Kurzem entschlossen, Möbeltischler zu werden. Was ihn dann zurück zum Studieren brachte, waren Bücher, die Freunde ihm geliehen hatten und die ihn faszinierten. Werke des Logikers und Philosophen Bertrand Russell und von Johannes Linschoten, einem holländischen Experimentalpsychologen. Seine eigene Denkweise änderte sich, und er wurde zum begeisterten Analytiker. Daher dämmerte ihm auch, dass an dieser Geschichte etwas nicht stimmte. Wenn die Trennung den Körper seiner seelenverwandten Freundin so befreit hatte, dass er zu bluten begann, wie hatte es so schnell, innerhalb von 24 oder 48 Stunden, dazu kommen können?
Wie, überlegte er sich, hatte sie den Eisprung und die danach eigentlich nötigen zwei Wochen überspringen können? Ihre Gebärmutter konnte doch nicht in einem oder zwei Tagen absolviert haben, was sonst einen halben Monat dauert. Natürlich war es denkbar, dass sie sich beide Male zwei Wochen, bevor sie es ihm sagte, zur Trennung entschlossen hatte, aber so hatte sie es ihm nicht erzählt. Er brütete weiter darüber, wie er so blind hatte sein können, warum er derart am Boden zerstört war, wie es zweimal hatte passieren können â »ich stand immer unter der Dusche, grübelte und grübelte«. Dann begann er, die Logik seiner Freundin, die deren Schwester auch noch bestätigt hatte, umzukehren.
Die Umkehrung war zunächst ein Prozess des Begreifens, ein Schimmer, und nahm langsam Gestalt an, während er Fachzeitschriften durchforstete und alles studierte, was auch nur im Entferntesten mit seinen Gedanken zu tun haben mochte. »Ich bin ein bisschen â nicht verrückt. Aber es wurde mir zum Bedürfnis, mein Privatleben in dieser Hinsicht zu verstehen, eine Theorie zu haben, ein Instrument, eine Kontrolle.«
Seine Freundin war Läuferin und Vegetarierin gewesen, machte Diäten. Das war ein Rezept für Amenorrhö, das Aussetzen des Menstruationszyklus â ein Rezept, das damals noch nicht sehr gründlich erforscht war. Dieser Lebensstil hatte ihren Hormonhaushalt ins Chaos gestürzt und das erneute Einsetzen ihrer Periode verzögert, nachdem sie aufgehört hatte, die Pille zu nehmen â dessen war er sich sicher, nachdem er alles gelesen hatte, was er dazu hatte auftreiben können. Das habe aber auch »ihr affektives Leben« beeinflusst, sagte er, als wir uns in einem Café unterhielten. Und das ungewöhnliche und professionelle Wort »affektiv« passte gar nicht zu seiner Miene und seiner Stimme. 30 Jahre danach war
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