Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
einwöchigen Stromausfall in ihrem Viertel. Das brachte den Familienalltag total durcheinander, und sie übernachteten im Haus von Nachbarn. Dadurch konnte sie nicht sagen, ob dem Buch gelungen wäre, was Flibanserin und die erste Serie der Pillen von EB nicht erreichten, ob etwas von dem Herzklopfen, das es verursachte, auch die Gefühle für ihren Ehemann erfasst hätte. In jener Woche war ihr Leben einfach zu chaotisch. Sie vermutete, dass Fifty Shades unter anderen Umständen irgendwas bewirkt hätte â vielleicht nicht alles, was sie sich von den Medikamenten erhoffte, aber doch etwas.
Als Christians Selbstbeherrschung dem Stöhnen und StoÃen Platz machte und Anastasia gefesselt und gekrümmt zum bloÃen Objekt degradiert wurde, schien Meanas Standpunkt bestätigt. Ich musste allerdings auch an Pfaus Perspektive denken. »Dopamin, Dopamin, Dopamin«, meinte er zur Wirkung des Buchs. » Fifty Shades aktiviert die ganze neurochemische Suppe des Verlangens.« Auf Wendy wirkte es wie eine Reihe von stundenlangen Injektionen in ein Gemüt, in dem Fantasie und deren neurale Effekte gewohnheitsmäÃig im Zaum gehalten werden.
»Dendriten«, fügte Pfaus hinzu. Diese hauchdünnen Tentakel verbinden in unserem Gehirn die Nervenzellen miteinander. Unsere Erfahrungen können diese Tentakel stärker wachsen lassen, so wie Pflanzen in gutem Boden besser gedeihen. Und dieses Gedeihen bedeute, »dass neurale Netzwerke weiterentwickelt, stärker sensibilisiert werden und leichter aktivierbar sind«. Man könnte sich vorstellen, dass Wendy, nachdem sie den ersten Band verschlungen hat, das Gleiche mit den beiden anderen tut, und wenn das zu mehr Fantasien führt, wenn Männer auf der StraÃe mit fabelhaften Schultern und Hüften ihr Verlangen aufflackern lassen, kann das im Lauf der Zeit die dendritische Verzweigung anregen, sodass Wendy schlussendlich zumindest etwas mehr Lust auf ihren Mann hat, selbst wenn seine Schultern nicht so breit, seine Hüften nicht so schmal, sein Eindringen in sie nicht so heftig oder neu wie bei Christian ist, und selbst wenn ihr nicht schwindelig wird, wenn ihr Name über seine Lippen kommt.
»Ja«, sagte Adriaan Tuiten, er habe oft über Verstärkung oder Nichtbeachtung, über Unterstützung oder Schwächung der Schaltkreise des Verlangens nachgedacht, als er Lybrido und Lybridos entwickelte. Er ist der Gründer von Emotional Brain. Ein niederländischer Wissenschaftler, Ende 50, mit einem Doktor in Psychopharmakologie, mit zerknittertem Hemdkragen und strubbeligen Haaren, dessen Wirrheit halb Stil, halb Chaos ist. Wir trafen uns regelmäÃig, wenn er in New York war, um sich nach den Erprobungen zu erkundigen, um die Rechte für Kooperationen zu verkaufen und um Millionen für die Studien aufzutreiben, die die FDA noch verlangen würde. Er setzte alles daran, erst einmal vor der amerikanischen Behörde zu bestehen, bevor er sich deren europäischem Ãquivalent stellte; beides auf einmal wäre zu teuer. Wenn wir durch Manhattan spazierten oder bei einem Kaffee zusammensaÃen, klagte er oft darüber, dass zu Hause in den Niederlanden sein Müll durchsucht würde. Internationale Firmen, um ein Vielfaches gröÃer als sein eigenes Unternehmen mit gerade mal 40 Leuten, schickten Spione aus, um hinter sein Geheimnis zu kommen. Sie hackten auch die Computer von EB . Hinter den getönten Brillengläsern wirkte sein Blick furchtsam. Hin und wieder schien er geradezu am Rande einer Paranoia zu stehen. Aber wie verrückt waren seine Vermutungen? Es stand so viel Geld auf dem Spiel. Und ein Wissenschaftler wie Pfaus, dessen Ratten nicht für EB genutzt wurden und der kein finanzielles Interesse am Erfolg von EB hat, der das Fachgebiet jedoch vielleicht besser kennt als jeder andere und der eine kleine Beraterfunktion bei Lybrido und Lybridos übernahm, sagt, Tuiten könnte durchaus richtig liegen.
Doch wenn Tuiten von den Anfängen seiner Medikamente sprach, vom Ursprung seiner Ideen, dann lieà sich diese Geschichte von wissenschaftlicher Genialität und riesigem potenziellem Profit auf das gebrochene Herz eines jungen Mannes zurückführen. Das war etwas, an das er sich ungern erinnerte. »Inzwischen ist meine Arbeit von der Vergangenheit unabhängig«, erklärte er und fügte zögernd hinzu: »Der Ausgangspunkt ist aber ein sehr
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