Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
taten. Ihr Blick wirkte
wesentlich freundlicher und angenehmer, als der der Männer. Diese blickten
finster und ihr Gesicht wirkte unergründlich. Der eine Mann kniete vor der
Kerze, der andere hielt das Messer versteckt hinter seinen Rücken. Jays Blick ruhte
auf dem Messermann. Er konzentrierte sich auf jede Bewegung, die er tat,
rechnete mit dem Schlimmsten. Seine Muskeln waren enorm angespannt. Langsam
trat Lucas an die Menschen, die um das Feuer standen, heran, die Ropeys dicht
hinter ihm. Wie ein Puma, der sich an seine Beute heranpirschte, folgte Jay
Lucas und ließ seinen Blick stets auf dem Messermann lasten. Der Mann bemerkte
den strengen Blick und starrte eisern zurück. Was war hier los? Was sollte das
Messer? Jay konnte sich das nicht erklären.
„Ich bin wieder da, mit den übrig gebliebenen Ropeys. Jason hat Projekt
‘Gnadenschuss‘ erfolgreich ausgeführt“, sagte Lucas trocken.
Doch Jay vernahm die Abscheu in seiner Stimme, als er von Jason sprach.
Grace stach es ins Herz, als sie das hörte. Die tiefe Wunde wurde
soeben wieder aufgerissen. Verzerrt vor Schmerzen und Tränen schaute sie Lucas
in die Augen, der sich nun zu ihr umgedreht hatte. Er schloss seine Augen und
nickte sanft. Als wollte er „ alles wird gut!“ sagen. Sie biss sich auf
die Lippe, um nicht völlig die Kontrolle über sich zu verlieren. Sie schluckte
das Schluchzen unter und wischte sich mit der freien Hand die Tränen von ihrem
nun leichenblassen Gesicht. Ihre schöne Bräune war verschwunden. Sie kämpfte
mit den letzten Tränen und wurde schließlich wieder Herr ihrer eigenen Gefühle.
Sie besann sich und siegte gegen die Flut der Trauer.
„Sehr gut“, sagte der älteste Mann und genüsslich nickte mit dem Kopf.
„Dann können wir nun mit dem Registrieren beginnen, oder?“ fragte die
Frau etwas zögerlicher und unentschlossener. Sie wirkte unsicher, aber bedacht
darauf, alles richtig zu machen.
Wieder nickte der alte Mann. Alle musterten die Ropeys streng und mit
feindlichem Blick. Die Frau gab ihr bestes, aber ihr Blick war bei weitem nicht
so einschüchternd, wie vielleicht beabsichtigt. Lucas zerrte einen der Ropeys,
der ganz vorne stand näher zu den schweigsamen Einwohnern des Reservates. Jay
kannte ihn nicht, ein fremdes Gesicht, das ziemlich ängstlich zu Lucas
hinaufblickte. Alles Mitleid, das Lucas soeben für Grace aufgebracht hatte, war
wie weggewischt. Sein Ausdruck war streng und pflichtbewusst. Er zerrte den
jungen Mann herüber zu den dunklen Gestalten, die gierig auf ihre Beute
blickten. Der Mann mit dem Messer erhob sich abrupt und übernahm den Ropey. Er
führte ihn in einen, ein Stück entfernten, alten Holzschuppen. Ein letzter
angsterfüllter Blick des Ropeys war zu sehen, dann verschwand er in der durchdringenden
Dunkelheit des Holzhauses. Der alte Mann nahm die Kerze, folgte den beiden und
schloss die alte Tür der Hütte hinter sich. Es war eine der wenigen Hütten, die
sich auf dem Boden befanden. Die restlichen Personen standen noch nahe des
Feuers. Schweigen. Jay hatte seine Muskeln immer noch angespannt und machte
sich auf alles gefasst. Er traute dieser Situation nicht, traute den Leuten
nicht. Die Frau sah ebenfalls angespannt und sogar ein bisschen aufgeregt aus.
Was hatte sie wohl? Vielleicht war sie relativ neu für den Job hier, was auch
immer der Job sein mochte. Egal, sie war nicht wichtig, er hatte sich um
anderes zu kümmern. Sein Blick durchforstete die Umgebung, die von den Laternen
erleuchtet war. Weiter hinten, verborgen im Schatten eines gewaltigen Baumes,
stand die merkwürdige Hütte, in die der Kerzenmann, der Alte und der fremde
Ropey verschwunden waren. So sehr sich Jay auch anstrengte, er konnte nicht
durch die alten Glasfenster des alten Häuschens blicken. Sie waren mit
Spinnenweben überzogen und so verdreckt, dass wahrscheinlich auch im Tageslicht
das Durchsehen unmöglich war. Nachdenklich schüttelte Jay den Kopf. Was
passierte hier?
Ein lauter Schrei durchbrach die bedenkliche Stille. Es war unschwer zu
erkennen woher der Schrei kam. Natürlich aus dem dunklen Häuschen. Lucas zuckte
bei dem lauten Schrei kurz zusammen, dann entspannte er schnell wieder sein
verkrampftes Gesicht.
Jay beobachtete sein Verhalten, seine Reaktion. Er sah nicht
erschrocken aus, ganz und gar nicht, eher unzufrieden, vielleicht sogar ein
wenig rebellisch, doch er hielt sich zurück und lauschte schweigend der
nächsten Folge von kreischenden Schreien. Dann war es vorbei.
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