Die Verstummten: Thriller (German Edition)
föhnte und bürstete das Fell eines zusammengekauerten Tieres. Diesmal schienen ihm auf den ersten Blick keine Metallteile oder andere Fundsachen anmontiert worden zu sein, wie seinen Monstrositäten an den Wänden und in den Vitrinen ringsum. Was war es überhaupt? Ein Eichhörnchen mit Hängeohren und eingedätschter Nase, nein, ein … Carina riss die Augen auf. »Das ist doch nicht etwa Feiningers Pekinese, oder?«
»Doch.« Nusser stellte den Föhn ab und bürstete die Schlappohren. »Sieben Jahre hat er das Bett mit ihr geteilt, warum sollte er das nicht auch weiter tun? Danke für die Augen, damit wirkt er fast menschlich, findest du nicht?« Nusser grinste.
Carina schluckte. Allzu menschlich, er sah ihrer Chefin sogar ein bisschen ähnlich.
»Keine Angst. Ich hab ihn mir nicht einfach so gekrallt. Die Professorin hat mich ganz offiziell damit beauftragt.« Sein Blick fiel auf den Ordner. »Was wolltest du eigentlich?«
Carina blätterte zu den letzten beiden Seiten. »Kannst du die Unterschrift des Arztes entziffern?«
Nusser nickte. »Das ist die Schnellschrift von Dr. Meitinger, einem Allgemeinmediziner, der arbeitet auch bei der Rettung. Brauchst du seine Telefonnummer?«
»Die finde ich, danke.«
Zurück in ihrem Arbeitsraum suchte Carina Meitingers Nummer im Computer und gelangte auf seine Homepage. Er habe Urlaub, stand da. Sie ließ sich von der Auskunft seine Handynummer geben und rief von der Institutsleitung aus an. Erst mal dröhnte laute Musik. Sie glaubte schon in einer Warteschleife gelandet zu sein. Gab es die jetzt auch für Mobilfunk? Dann ertönte eine Kinderstimme. »Hallo, hier Larissa Meitinger.«
»Kann ich bitte deinen Papa sprechen?«
»Geht nicht, der ist in Mamorka. Ich bin bei Oma und Opa, obwohl ich heute Geburtstag habe.«
Mamorka sollte wohl Mallorca sein, oder vielleicht eher so was wie Takatuka? »Herzlichen Glückwunsch. Gibst du mir bitte kurz deinen Opa?«
»Geht auch nicht.« Larissa kicherte. »Mein Opa macht gerade einen Kopfstand, weil ich sein Handy als Pfand habe.« Carina hörte ein lautes Durcheinander, Gekreische, Lachen und Geraschel.
Dann nach einer Weile doch eine Männerstimme: »Hier Meitinger, was gibt es?« Er keuchte, hatte anscheinend sein Pfand eingelöst.
Carina las ihm den Totenschein vor und bat ihn, sich an Margarete Loos zu erinnern.
»Wissen Sie, wie viele Autounfälle wir rings um München haben?« Meitinger atmete immer noch schwer.
Carina hielt den Hörer etwas vom Ohr weg. »Ich verstehe, aber es ist wichtig.«
»Tut mir leid, aber wenn ich mich an alle Toten in den letzten Jahren erinnern würde, könnte ich bestimmt nicht mehr ruhig schlafen.«
Carina wusste, was er meinte. Man durfte die Schicksale nicht an sich heranlassen, musste seinen Job machen und die Gefühle ausblenden. Aber manchmal gelang das nicht.
»Wir feiern gerade den achten Geburtstag meiner Enkelin, also entschuldigen Sie mich bitte.« Er wollte auflegen.
»Die Enkelin, ja, um die geht es«, sagte Carina hastig.
»Larissa? Was ist mit ihr?«
»Die Enkelin von Victor und Sophie Loos. Die neunjährige Flora, ihre Großeltern starben bei einem Unfall, und jetzt wurden ihre Eltern ermordet, und sie wird seit bald … «, Carina sah auf die Werbegeschenk-Pillenuhr im Regal, »achtzig Stunden vermisst.«
»Ach, der Loos-Fall, warum sagen Sie das nicht gleich? Vom Namen allein habe ich das jetzt nicht so schnell begriffen. Ich habe das heute in der Zeitung gelesen, ihr Bruder ist doch der Geisterfahrer vom Wochenende, richtig? Wenn ich Dienst gehabt hätte, hätte ich das live mitgekriegt, aber ich muss auch mal abschalten, wenigstens zwei Wochen. Und es gibt noch keine Spur zu dem Kind?« Das Zuschlagen einer Tür, dann waren die Hintergrundgeräusche plötzlich gedämpfter.
»Dazu kann ich Ihnen keine Auskunft geben, ich bin von der Rechtsmedizin und wollte nur die Totenscheine überprüfen.«
»Warten Sie, ich schließe noch die Fenster, die Rasselbande ist draußen.« Nun war es still. »Wann war der Unfall genau?«
»Am dreizehnten Mai dieses Jahres in Lautstetten oder so ähnlich.«
»Landstetten, ein Dorf zwischen Ammersee und Starnberger See. Ja, jetzt erinnere ich mich, genau dort sind sie zwar nicht verunglückt, sondern etwas weiter nördlich mitten auf dem Feld, aber der Einsatz wurde von dort geleitet. Es ist bei der Landung passiert.«
»Mit einem Flugzeug?«
»Nein, in einem Heißluftballon, der ist an einer Stromleitung hängen geblieben.
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