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Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Verstummten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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großen Wohnzimmer oben, befand sich ein Büro mit einem alten Eichenschreibtisch. Nicht so fein wie ihr Seziertisch, aber auch nicht schlecht, dachte Carina. In einem Regal, das mit seinen wellenförmigen Leisten eigentlich für Weinflaschen gedacht war, lagerten Papierrollen, und überall standen filigrane Modelle von Häusern herum. Sie las die Inschrift auf einer Minianlage für die tierärztliche Fakultät in Oberschleißheim: Ralf Loos, 1972. Jakobs Vater, richtig, der war auch Architekt gewesen; so was stand nicht auf einem Totenschein. An den Wänden hingen exakte Zeichnungen von Gebäuden. Die Ludwig-Maximilians-Universität, das Hornbad an den Isarauen und das Terzgebäude mit verwinkelten Türmen und einem Labyrinth-Garten. Falls Loos senior und Loos junior das alles verwirklicht hatten, dann erklärte das ihren Wohlstand. Carina zog zwei Rollen aus dem zweckentfremdeten Weinregal und entzifferte die Beschriftungen: Loos I und Loos II , Rabenkopfstraße vierundzwanzig und sechsundzwanzig. Sie breitete sie auf dem großen Schreibtisch aus und beschwerte die sich wieder einrollenden Ecken mit einem Tacker, einem Locher und einem versteinerten Skorpion. Es dauerte eine Weile, bis sie die Baupläne und den Maßstab begriff und was sich wo befand. Die beiden Häuser ähnelten sich in der Grundidee. Auf den ersten Blick war nicht zu erkennen, welches Richards und welches Jakobs Haus war. In Loos I las sie Therapieraum , an der entsprechenden Stelle war in Loos II der Fitnessraum eingezeichnet. Richard besaß einige Quadratmeter Wohnfläche mehr, dafür aber einen kleineren Garten. Sie zählte die Fenster im Büro, zwei auf jeder Seite, wie auf der Bauzeichnung. Ein fünftes sollte sich an der breiten Wand befinden, an die das Nachbarhaus unterirdisch grenzte. Im Erdgeschoss war an dieser Stelle die Terrassentür, doch hier stand ein wuchtiger Schrank, der bis unter die Decke reichte und Carina an einen Beichtstuhl erinnerte. Genauso muffig wirkte er jedenfalls. Wie hatten sie den nur hier reingeschafft? Vielleicht war zuerst der alte Kasten da gewesen, und sie hatten die Wände darum herum gemauert? Carina versuchte ihn zu öffnen. Vergeblich. Sie sah noch einmal auf den Plan. Gegengleich zu Büro Jakob , in dem sie sich befand, hieß der Raum in Richards Keller VB .
    VB , was bedeutete das? Wahrscheinlich ein übliches Kürzel unter Architekten. Carina fielen dazu nur Fachbegriffe aus der Polizei ein. Verbindungsbeamte, Verantwortlicher für den Brandschutz; sie war eben durch und durch Polizistentochter. In der Medizin stand das »V« für Verdacht. Verdacht auf … ? Na ja, das hatte nichts mit Raumbezeichnungen zu tun. Sie presste sich an die Wand und spähte dahinter. Es war zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen. Sie tastete die Wand ab und schob den Arm hinter den Schrank.
    Zuerst konnte sie es kaum glauben, aber da war eindeutig eine Tür – wenn auch ohne Türklinke. Als sie sich gegen den Schrank stemmte, um ihn zu verrücken, gab er ohne weiteres nach, rollte zur Seite, auf Rädern, die sich unter dem wuchtigen Schranksockel befanden und auf den ersten Blick nicht zu sehen gewesen waren. Carina schob die Tür auf. Roter, schwerer Samt hing auf der anderen Seite, vielleicht zur Wärmedämmung. Sie lupfte ihn ein Stück vom Boden, und der Vorhang teilte sich. Vorsichtig spähte sie in den Keller des Nachbarhauses.
    VB , das musste dieser Raum sein. Spätestens jetzt durfte sie nicht mehr weitergehen. Sie überschritt mehr als nur ihre Kompetenzen, sie riskierte alles. Bestimmt hatte die Spurensicherung oder auch Peter diese Verbindungstür deshalb nicht erwähnt, weil es nichts Außergewöhnliches war, zwei Familien, die so nah beieinander wohnten, konnten sich auf die Art auch bei Regen gegenseitig besuchen, ohne nass zu werden. Wo auf Jakobs Seite naturbelassene Dielen waren, war hier der Boden mit schwarzem Linoleum belegt. Carina hatte Richard für einen Sauberkeitsfanatiker gehalten, aber hier war der Boden verschmiert. Sie trat näher. Durch die Kellerfenster in den gekiesten Schächten fiel spärliches Licht auf merkwürdige Kreidezeichnungen. Erst dachte Carina an ein Himmel-und-Hölle-Spiel, das jemand auf den Boden gekritzelt hatte wie auf eine Tafel. Dann fiel ihr wieder ein, wie sie als Kinder mit ihrem Vater seine Mordfälle im Keller nachgespielt hatten. Sie tastete nach dem Lichtschalter neben der Tür. Mehrere Spots flirrten auf, in einer Ecke ging eine Stehlampe an. Sofa, Kommode,

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