Die Verstummten: Thriller (German Edition)
schien nichts bemerkt zu haben und redete weiter.
»Bei Lösegeldforderungen zum Beispiel sagen die Worte oder die Art, wie die Worte gewählt wurden, sehr viel über den Täter aus. Besonders die Fehler sind interessant, Sprachfehler, Tippfehler. Sie sind so was wie eine Charakterisierung des Verfassers.« Er stockte. »Deine Beule ist weg, wie hast du das so schnell hingekriegt?«
Carina hatte überhaupt nicht mehr daran gedacht, ihre Brille war einfach wieder lockerer geworden. Sie tastete ihre Schläfe ab – da schmerzte nichts mehr – und bog den Brillenbügel in die alte Form zurück. Dann zuckte sie mit den Schultern. Silvias Wundermedizin hatte gewirkt, trotz Spinat und jeder Menge Wut.
»Aber was ist mit deinem Arm passiert?« Peter deutete auf ihre Schürfwunde.
»Ach, nichts.« Carina zupfte an der Kruste herum, die prompt wieder zu bluten anfing. Schnell senkte sie den Arm, nicht dass sie Peter den Appetit verdarb und ihm wieder schlecht wurde. »Vorhin auf dem Fahrrad hat mich ein Auto an eine Mauer gedrängt und ist dann bei Rot über die Ampel geprescht. Vielleicht bin ich mit auf dem Foto, das die Kamera gemacht hat, als der Fahrer geblitzt wurde.« Sie grinste.
Peter griff zum Telefon. »Ich frag bei der Verkehrspolizei nach, dann kannst du ihn anzeigen. Um wie viel Uhr war das? Und hast du dir das Kennzeichen gemerkt?«
»Nein, das braucht es nicht, so schlimm war’s nicht. Aber mir ist dabei Enrico eingefallen. Ist er vielleicht auch geblitzt worden, bevor er auf die Autobahn raste? Was, wenn er aus Verzweiflung auf die falsche Autobahnseite aufgefahren ist, um vielleicht einen Verfolger abzuhängen? Dann hätte er doch bestimmt nicht an jeder Ampel gewartet, bis grün ist.«
Peter nickte, tauschte das Telefon wieder gegen seinen Löffel und aß weiter. »Nicht jeder, der bei Rot über die Ampel fährt, ist auf der Flucht.« Er überließ ihr eine Mandel, die er gerade herausfischen wollte. »Aber ansonsten liegst du richtig, es gibt Aufnahmen. Wir konnten seinen Weg von zu Hause bis zur Autobahnauffahrt zurückverfolgen. Er muss fast durchgängig mit Vollgas durch die Stadt gebrettert sein. Ein Wunder, dass nicht mehr passiert ist.«
»Darf ich die Fotos sehen?«
»Ich weiß nicht, wie dein Vater das hält oder wie das mit der Rechtsmedizin ist, aber solange die Ermittlungen noch laufen, kann ich, glaub ich, nicht … «
»Was, ich dachte, der Fall ist abgeschlossen?«
Er lachte. »Der Hexerei sind wir noch nicht mächtig. Der Junge liegt im Koma und kann nicht aussagen, außerdem fehlen noch einige Befunde der Spurensicherung, die arbeiten auf Hochtouren, aber … «
Sie legte den Löffel zur Seite und seufzte. »Danke, das hat sehr gut geschmeckt.« Ihr Vater hatte sie schon wieder belogen. Langsam brauchte sie ihn überhaupt nicht mehr ernst zu nehmen.
Peter glaubte, ihre Enttäuschung gelte ihm. »Ich würde dir die Blitzfotos wirklich gerne zeigen, aber es kann mich die Stelle kosten, wenn ich das tue.« Damit konnte er richtig liegen; was immer er auch damals bei dieser Zeugin verbockt hatte, einen zweiten Fehler verzieh ihm Matte bestimmt nicht. Peter machte sich über den Rest der Schüssel her.
»Kein Problem. Ich wollte dich eigentlich wegen was anderem fragen, also mehr privat.« Sie kam sich bescheuert vor, befürchtete, bei ihm von einer doppelbödigen Sprachfalle in die nächste zu tappen. Jetzt hatten sie von einem Tellerchen gegessen, und schon stellte sie ihm private Fragen?
»Genau, die Nachricht auf der Mailbox. Hast du das Handy hier? Ich hör sie mir an, und wenn ich nicht weiterkomme, dann kann ich die Techniker fragen.«
»Bitte nicht, es soll nicht im Präsidium rumgehen. Als mein Vater angeschossen wurde, hat er mir noch was auf die Mailbox gesprochen; ich wollte es heute löschen und habe auf einmal noch eine fremde Stimme gehört. Vermutlich Krallinger, aber ich kann ihn nicht richtig verstehen.«
»Sein Ex-Kollege vom BKA , gegen den er am Montag aussagt? Da wird ziemlich viel gemunkelt. Neulich hieß es, dass Matte als Polizeianwärter in eine RAF -Sache verwickelt gewesen ist.«
Ihr Vater und die Rote Armee Fraktion? Also, das war mal was Neues. Behauptete er deshalb fälschlicherweise, dass der Fall abgeschlossen war, weil er selbst Dreck am Walking-Stecken hatte? Carina schaltete ihre Mailbox ein. »Hör dir das zu Ende an, besonders die letzten zwei Sekunden nach der langen Pause.«
Er lauschte konzentriert, eine Haferflocke im Mundwinkel, die
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