Die Verstummten: Thriller (German Edition)
Fell aufgetragen, und sogar eine rosa Zunge hing ihm aus dem Maul.
Bärige Grüße zum neunten Geburtstag, von Deiner besten Freundin Sara Forever , stand in Schönschrift auf der Rückseite. Bärig, das bayerische Wort für geil oder cool, hörte man kaum noch. Ob diese Sara Bayerisch sprach? An wen die Karte gerichtet war, war nicht zu erkennen. Bingo, von alldem unbeeindruckt, peitschte mit dem Schwanz übers Carinas Füße in den Insektenschuhen.
»Glaubst du, dass Enrico diesen Bären vor acht Jahren gekriegt hat, als er neun geworden ist, und dass diese Karte seitdem hinter der Leiste verborgen war?«, fragte sie den Kater.
Der kniff die Augen zusammen und drehte sich auf die andere Seite, um sich auch da das Fell braten zu lassen.
»Acht Jahre, so lange wird das Haus hier doch noch gar nicht stehen.«
Sie verstaute die Karte in ihrer Tasche, packte dann den Kater mit festem Griff und trug ihn die Treppe hinunter, zur Tür hinaus, bis über die Straße.
»Ich kaufe nüscht.« Als Agnes Mayerhofer nach ihrem Klingeln öffnete, erkannte sie Carina zuerst nicht. Ihr Rock war verdreht, mit dem Reißverschluss nach vorne und bis unter den Busen hochgezogen. Ihr graues Haar stand ihr in wirren Strähnen um den Kopf. Außerdem hatte sie in der Eile vergessen, ihre Zähne einzusetzen. Vermutlich hatte Carina sie aus einem Nachmittagsschläfchen geweckt. Dann fiel ihr Blick auf den Kater. »Bängolei«, nuschelte sie und wollte ihn Carina abnehmen.
»Frau Mayerhofer, ich bin’s, Carina Kyreleis, die Rechtsmedizinerin von vorhin. Erinnern Sie sich?« Das Tier sprang Agnes Mayerhofer über den Arm auf die Schulter und knetete ihr den Nacken.
Vielleicht hat sie ihn deshalb so vermisst, dachte Carina. »Sagt Ihnen der Name Sara Forever etwas, oder einfach nur Sara?« Forever war bestimmt nicht der Nachname des Mädchens.
Agnes Mayerhofer überlegte: »Schara Forewa, heischt so nischt diese Schängerin von der Tageschschau?« Sie war wirklich noch nicht ganz wach.
»Eher nur Sara.«
»Wie?«
Carina zeigte ihr den Fund aus der Sockelleiste.
»Warten Schie, ich hol meine Brille.« Nach einer Weile kehrte sie ohne Kater, dafür mit Brille und Zähnen im Gesicht zurück, betrachtete die gemalte Karte und las die Rückseite. »Ach, die Sara. Das muss die Freundin von der Flora sein. Wie geht es ihr denn, falls man das unter diesen Umständen überhaupt beantworten kann.«
»Welche Flora?«
»Na, das kleine Loos-Mädchen, die Schwester vom Enrico. Sie hatte letzte Woche ihren siebten Geburtstag.«
»Schwester? Hier steht was vom neunten Geburtstag.«
»So, der neunte? Meine Güte, die werden so schnell groß. Ich habe ihr auch was geschenkt, eine Patchworkdecke, die ich vor Jahren in so einem Kurs genäht habe. Für Floras neues Bett, sie hat sich so gefreut. Ach, wenn man da geahnt hätte, dass es der letzte Geburtstag mit ihren Eltern ist. Nur gut, dass sie an dem Tag in der Schule war, schrecklich, wenn sie dabei gewesen wäre. Ich denke die ganze Zeit an sie, aber ich traue mich nicht, einfach bei ihrer Oma in Gauting anzurufen. Die Frau macht genug mit, und was sagt man auch in so einem Fall?«
Carina war völlig verwirrt und starrte Frau Mayerhofer nur an.
»Den Schlüssel hab ich für Flora aufbewahrt, damit sie jederzeit ins Haus kann, wenn sie früher Schule aus hat und ihre Eltern mal nicht da sind. Sie wissen ja, wie schusselig Kinder oft sind.« Sie musterte Carina, als ob sie schwer von Begriff wäre.
Und das war sie in der Tat. Enrico sollte eine neunjährige Schwester haben? Das wollte ihr nicht in den Kopf.
»Haben Sie ihn schon der Polizei gegeben?«, fragte Frau Mayerhofer.
»Wen?«
»Na, den Schlüssel. Sie scheinen etwas überarbeitet zu sein. Wollen Sie einen Kirschlikör?«
»Tut mir leid, ich muss weg.« Sie verabschiedete sich und lief zu Silvias Rad. Flora Loos war also bei ihrer Oma. Merkwürdig, dass niemand das Mädchen und die Großmutter erwähnt hatte, auch nicht ihr Vater, als sie ihn nach Enricos Verwandten fragte.
Samstag
Zweiunddreißig Stunden nach dem Ursprung
Ich wünsch mir,
ich könnt in mein Herz fassen
und dafür sorgen,
dass manche Dinge nie geschehen.
Kevin Brooks
25.
»Ach, Frau Dr. Kyreleis, wie schön, dass ich Sie treffe.« Karin Kirchleitner, Mattes Kollegin und rechte Hand für den Verwaltungskram, begrüßte sie an diesem späten Samstagnachmittag im Präsidium. »Ich wollte sowieso mal mit Ihnen unter vier Augen reden.« Sie packte sie am Arm,
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