Die Verstummten: Thriller (German Edition)
klirrte.
Salamander hechtete zum Tisch, rettete die Geldbündel vor der sich ausbreitenden Biersuppe und presste das Geld an sich.
»Was, wieso?« Krallinger hielt im Kauen inne. » Du hast doch inseriert, wie immer.«
»Diesmal nicht.« Calimero wischte sich über die nasse Hose und musterte sie alle reihum.
»Scheiße.« Felix zupfte sich heiße Asche von den Lippen und warf den Zigarettenstummel fort, an dem er sich verbrannt hatte.
Krallinger griff sich die Reste des Umschlags und hielt sie gegen das Fenster. Außer seinen fettigen Fingerabdrücken, die das Packpapier transparenter machten, war nichts darauf, gar nichts. Machte sich Calimero einen Scherz auf ihre Kosten?
»Ich dachte, du instruierst uns wieder?« Felix zündete sich eine neue Polnische an und schob sie in den unverletzten Mundwinkel. Seit es die Stasi nicht mehr gab, arbeitete er wie Iris für den Bundesnachrichtendienst und war wie sie zum Stubenhocken verdonnert worden, nur mit dem Unterschied, dass seine Dienststelle in Hannover lag. Sie hatte aus persönlichen Gründen darauf bestanden, in Bayern bleiben zu können: wenn schon am Schreibtisch, dann in Pullach bei München.
»Wenn’s der Krallinger gewesen wäre, hätte er mir das längst gesagt.« Er stupste seinen Freund an.
»Ich?« Krallinger rülpste und rieb sich das Feuermal, als müsste er es irgendwie in Gang halten. »Natürlich bin ich’s nicht gewesen. Iris war’s, stimmt’s?« Er deutete mit der Messerspitze auf sie.
»Keine Nachricht bedeutet: kein weiterer Auftrag.« Sie sprach aus, was im Raum stand. »Und kein Auftrag heißt … « Mit einer Fingerspitze zog sie Strahlen aus der Bierlake auf der Tischplatte. Sie schwiegen, stierten vor sich hin. Nur Krallingers Schmatzen und das Knistern des Feuers waren zu hören. Nach einer Weile schob Salamander jedem ein Geldbündel zu, öffnete das Schürtürchen und stopfte die Umschlagreste in den Ofen.
»Sag ich doch, Abfin…«, wollte Krallinger ergänzen.
»Schnauze«, brüllte Calimero. Sie starrten ihn an. Keiner rührte sich. Sogar das Vogelgezwitscher draußen schien verstummt zu sein. »Die RAF hat sich aufgelöst, also sind auch wir überflüssig.« Im vergangenen Jahr hatten die Terroristen öffentlich per Zeitungsartikel der Gewalt gegen führende Repräsentanten der Wirtschaft und des Staates abgeschworen. »Prost! Wer nicht mehr gebraucht wird … « Er hob die Flasche. »Auf die Freiheit! Lasst uns anstoßen und unsere Entlassung feiern.« Er sackte zurück auf die Eckbank.
»Und was ist mit Weiterstadt? Soll das etwa ungesühnt bleiben?« Krallinger sprach es endlich an. Wie um einen Schlusspunkt zu setzen, hatte die RAF – oder irgendwelche Linke – vor zwei Monaten die gerade fertig gebaute Justizvollzugsanstalt Weiterstadt mit zweihundert Kilogramm Sprengstoff in die Luft gejagt. Personen waren keine zu Schaden gekommen, nur der Staat, mit schätzungsweise hundertdreiundzwanzig Millionen Mark. Auch Iris hatte gedacht, sie seien deshalb zusammengerufen worden.
»Dreitausend fürs Maulhalten ist zu mager.« Aus dem Ofeneck meldete sich Salamander zum ersten Mal zu Wort.
24.
Carina wählte die Nummer des Polizeipräsidiums und ließ sich mit Peter Schuster verbinden. Auf dem Ball wippend, kraulte sie den Kater, der die Ohren anlegte.
»Ja, hier Schuster?«
»Au«, sagte Carina. Bingo hatte sie gebissen.
»Frau Au, was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin’s, Carina. Also, äh, ich wollte fragen, ob … es ist … « Ausgerechnet bei einem Sprachforscher stotterte sie herum. Was dachte der von ihr? »Also, ich habe was gefunden, und ich wollte Sie … nein, ich glaube, dass genau Sie mir vielleicht weiterhelfen könnten.«
»Um was geht es denn?«
Das nächste Mal machte sie sich Notizen, bevor sie mit ihm telefonierte. Er musste sie für total bekloppt halten.
»Frau Kyreleis. Sind Sie noch dran?«
Sie versuchte es erneut. »Können Sie auch Nachrichten entzerren, die auf meinem Handy gespeichert sind?«
»Wie wäre es, wenn Sie vorbeikommen? Ich wollte sowieso gleich Pause machen.«
Als sie aufgelegt hatte, fiel ihr Blick auf die Sockelleiste hinter der Tür, wo ein Stück Papier herausragte. Sie zog daran, und eine bemalte Karte kam zum Vorschein. Ein Bär, von einem Kind gemalt und doch so exakt, wie es Sandro noch nicht beherrschte. Er malte meistens gröber, mit wenigen Strichen, hatte nicht die Geduld, etwas so genau auszuschmücken. Die Bärenschnauze war mit Deckweiß auf das braune
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