Die Verstummten: Thriller (German Edition)
Wir haben auch Fingerabdrücke gefunden, von Olivia Loos natürlich, aber auch einige andere.« Er machte eine Pause. »Hat dein Vater dir alles gesagt?«
Carina zuckte mit den Achseln. »Wie man’s nimmt, jedenfalls alles, was er bereit war, zu sagen. Ihr habt die Fingerabdrücke einer Toten gefunden, stimmt’s?«
Peter nickte. »1994 verstorben, sagt der Computer, deine Mutter war BND -Mitarbeiterin. Es tut mir leid, Carina. Ihre Karte zu deinem zwölften Geburtstag, das war das letzte Lebenszeichen.«
»Und das einzige.« Carina atmete aus. »Egal, ich kannte sie nicht, sie hat mich loswerden wollen, auch wenn mein Vater es abstreitet, und sie war eine Mörderin. Kaum ein Grund, um traurig zu sein.« Sie holte Luft. »Aber jetzt zu diesem Imker. Ich arbeite gerade an einem Schädel, den die Starnberger Polizei in ihrem Archiv gefunden hat. Lorenz Waasberger hat ihn dort abgegeben.«
»Na, dann befragen wir ihn mal gleich.«
Nur der Wegweiser für Wanderer verriet, in welcher Richtung Neumaising lag. Nach einer Serpentine unter der Umgehungsstraße durch parkten sie am Waldrand und stiegen aus. Peter zog ein braunes Basecap mit großem Schirm aus seiner Sporttasche, in der er seine Unterlagen aufbewahrte, und setzte es auf, sobald sie aus der Kühle des Wageninneren in die Sommerhitze traten. Fehlten nur noch die Spiegelbrille und das Goldkettchen, fand Carina. Trug er die Kappe zur Tarnung, oder war das sein Kommissarlook für Ermittlungen außerhalb Münchens?
»Honig vom Imker: Mo – So, 8–20 Uhr«, verkündete ein Schild in gepinselter Schreibschrift am Zaun eines Gartens mit Obstbäumen und einigen Bienenkästen in verschiedenen Formen und Größen.
»Der hat auch einen langen Arbeitstag.« Peter sah auf die Uhr – zwanzig nach zwei – und schob die Gartentür auf. »Vielleicht verrät der Imker mir auch was über die Sprache der Bienen, diesen Schwänzeltanz, mit dem die Arbeiterinnen einander den Weg zu den besten Futterquellen zeigen.«
Nach einigem Suchen entdeckten sie hinter einer Reihe bunt bemalter Bienenkästen an der Wand eines kleinen, halb zugewachsenen Hauses einen Mann in einer blauen Latzhose; seine Hände ruhten auf seinem kugeligen Bauch. Die Mittagssonne hatte sein Gesicht zum Glühen gebracht. Als sie sich um einen rostigen Wassertank, der mit Brennnesseln zugewachsen war, zu ihm vorhangelten, dachten sie zuerst, er schliefe.
»Herr Waasberger?« Peter redete ihn an. »Wir sind von der Münchner Po…«
Der Rotgesichtige schreckte auf und fuchtelte mit den Händen, als wollte er Peter abwehren. Damit brachte er die Bank, auf der er saß, zum Kippeln. »Den Schirm umdrehen, schnell, sonst denken die Immen, da kommt ein Bär.« Er gurgelte die Worte mehr, als dass er sprach. Peter nahm hastig die Kappe ab und stopfte sie in seine Sporttasche zurück.
Besser so, dachte Carina, Bienen haben eben Geschmack. Auch Waasberger schien zufrieden, er beruhigte sich wieder und klopfte auf das freie Sitzkissen neben sich. Wie sollten sie sich beide da draufquetschen? Peter folgte der Aufforderung und setzte sich neben ihn. Stumm deutete der Imker auf das Beet vor sich. Außer Strünken und ein paar Knospen konnten sie nichts erkennen, nicht einmal, ob sich Zucchini unter den großen Blättern verbargen. Sie starrten eine Weile durch die Perspektive des Imkers, eine Schnecke kroch vorbei, ein Zitronenfalter torkelte zwischen den Blättern herum, als hätte ihn eine gärige Blüte betrunken gemacht. Carina lehnte sich an einen Obstbaum und versuchte die Gedanken auszublenden, die in ihrem Kopf herumschwirrten wie die Bienen an den Fluglöchern der Kästen ringsum. Ihre Mutter war tot. Auch wenn sie sich mit dem Gedanken, sie irgendwann kennenzulernen, noch gar nicht angefreundet hatte – jetzt gab es auf keinen Fall mehr eine Gelegenheit dazu. Sie sog den würzigen Duft ein, der in der Luft lag, und schloss für einen Moment die Augen. Eine Mischung aus Rauch, Blütenduft und warmem Wachs.
»Hossa, das waren jetzt mindestens drei, wenn nicht vier.« Waasberger klatschte sich auf die Schenkel.
»Vier was?«, fragte Peter und kratzte sich am Kopf.
»Millimeter.« Der Imker zeigte es zwischen Daumen und Zeigefinger. »Der Tentakel da, der ist ein Stück über den Boden gekrochen, und jetzt hat er ein kleines Blatt vornedran.« Er verankerte seine Hände wieder unter den Hosenträgern. »Schade, dass ihr es nicht gesehen habt.« Wie ein beleidigtes Kind schob er die Unterlippe vor.
»Die
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