Die Verstummten: Thriller (German Edition)
Kühlschrank hatten sie hier heraufgeschleppt, doch er enthielt nur ein paar Bierdosen, keine Chemikalien oder Munition. Eigentlich hatte sie sich nur eine Waffe besorgen wollen, aber nun hatte sie einen besseren Einfall. Außerdem war sie aus der Übung, womöglich würde einer, wenn sie den anderen erschoss, noch entkommen. Sie suchte weiter. Die Emailschüssel in Hofis altem Waschtisch war mit Asche und Chipstüten zugemüllt. Iris nahm die kleine Schublade neben der Vertiefung heraus, in der anstatt einer Bürste verrostete Mausefallen lagen. Die Schublade war kürzer als das Fach, und dahinter hatten sie die Zünder versteckt.
Als sie wieder in die Stube trat, fiel ihr Blick auf die Trophäen des Rohwedder-Attentats, die da immer noch standen. Sie fegte den Tisch leer, um das Werkzeug auszubreiten. Bilder, wie von einem Kind gemalt, flatterten vom Tisch. Hatte Felix doch Familie, kleine Kinder sogar? Sie wischte jeden Gedanken an ein Gewissen fort und konzentrierte sich auf das, was sie schon x-mal, in der Vorbereitung auf die Attentate, geübt hatte. Zuerst zog sie zwei Drähte aus der Lampe über der Eingangstür und schraubte einen Bewegungsmelder am Türstock an. Dann verband sie den ersten Draht mit ein paar Stangen Dynamit und einem Zünder, den anderen mit dem Bewegungsmelder. Bevor sie die Tür von außen schloss, drehte sie die zwei losen Enden zusammen und drückte den Draht in eine Holzfuge neben dem Eingang, sodass er so gut wie unsichtbar war. Dann verkroch sie sich wieder hinter einem Baumstamm und wartete. Warum nicht zwei Fliegen gleichzeitig vernichten?
58.
Ins Schrankeck gekauert, traute Flora sich kaum zu atmen. Selbst ihre Farben verstummten, alles blieb bleich, wie mit zu viel Weiß gemischt. Hoffentlich musste sie nicht ewig warten, bis sie aufsperrten und nach ihr suchten. Über und über mit Tarnfarbe bemalt, im Braunton der Schrankinnenseite, sogar die Linien im Holz hatte sie sich aufgemalt, würden sie sie nicht finden. Unsichtbar wie sie war, würden sie denken, sie sei irgendwie aus dem Zimmer geflohen, würden wieder gehen und die Tür offen lassen. Warum dauerte das nur so lang? Das Wasser oder was das für ein Getränk gewesen war, war verbraucht. Sie würde verdursten, wenn sie nicht bald kamen und ihr Nachschub brachten. Auf einmal näherten sich Schritte. Sie schloss die Augen.
Bitte, bitte, lass sie nicht meinen Herzschlag hören, flehte sie, presste die Augen zusammen, so fest es ging, und versuchte, nicht mal mit den Wimpern zu zucken.
59.
Vielleicht sollte sie doch einen Schnappschuss machen, dachte Carina auf dem Weg zum Auto. Peter, wie er Bienisch lernte, das war ein Foto wert. Sie blieb stehen. Ein BMW mit verdunkelten Scheiben parkte am Waldrand, der war ihr vorhin gar nicht aufgefallen. Es war ein älteres Paar; sie, mit ergrautem Pferdeschwanz, ging um den Wagen und half ihm, der verletzt zu sein schien, beim Aussteigen. Dann verschwanden beide zwischen den Bäumen. Für einen Augenblick hatte Carina die breiten Koteletten der Pferdeschwänzigen gesehen, die ihr bis zum Kinn reichten. Das war keine Frau, sondern ein Mann, der wie Polizist Rüdiger mehr Haare im Nacken als oben am Kopf besaß. Und sie hatte ihn erkannt: Felix Jering, der vom Foto, nur zehn Jahre älter und magerer. Der andere musste Lambert sein. Was machten die hier? Vermutlich waren sie nicht zum Pilzesammeln unterwegs. Carina folgte ihnen, ohne schneller zu gehen, und blickte so beiläufig wie möglich zu der Stelle, wo sie abgebogen waren. Ein paar Meter seitlich des Wegs verlief ein Maschendraht, der an einer Stelle niedergetreten war. Sollte sie Peter Bescheid geben? Aber bis der aus dem Schleierhut herauskam, waren die beiden vielleicht längst weg. Am besten, sie rannte zum Auto, holte ihr Handy und forderte Verstärkung an. Carina spähte durch das Dickicht der Bäume und meinte oben am Hang etwas Rotweißes zu erkennen. Ein Zweig verfing sich in ihren Haaren, es ziepte. Beim Versuch, sich loszureißen, stolperte sie über den Zaun. Sie rappelte sich auf. Autsch! Eine lange Strähne ihres hellen Haars hing noch immer an dem Zweig fest. Jering und Lambert waren nirgends zu sehen. Carina folgte dem Trampelpfad, der sich als weicher Nadelbelag hell zwischen den Wurzeln der Bäume abzeichnete. Ein Haus lag ganz versteckt am Ende des Grundstücks, und Jering öffnete gerade die Tür. In diesem Moment riss ihr etwas die Beine weg, sie landete mit Bauch und Gesicht auf dem Waldboden. Jemand
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