Die Versuchung
Zimmer. Wenige Minuten später traten Isabelle und Sophie in ihren weißen Musselinkleidern ein.
„Ist sie nicht schön?“, rief Sophie voller Bewunderung für ihre Schwester, und fügte hinzu, als sie Hamiltons Blick auffing: „Locken sind am Ende doch schöner als Flechten.“
Isabelle errötete leicht, als sie Hamiltons Bewunderung bemerkte. Sie war in diesem Augenblick für ihn die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Ihre langen dunkelbraunen Locken umrahmten ihr Gesicht, das helle Kleid betonte ihre wohlproportionierte Figur.
„Ich bitte Sie, mir einen Walzer oder Galopp zu reservieren“, sagte Hamilton, nachdem er seine Sprache wiedergefunden hatte. „Ich werde zwischen zehn und elf im Museum sein.“
Isabelle murmelte etwas Unverständliches, das man als Zustimmung oder auch als Ablehnung auffassen konnte. Sie sah nachdenklich und bedrückt aus. Hamilton war erstaunt über ihre Miene und sagte leicht verärgert zu ihrem Vater: „Ihre Tochter weiß vielleicht nicht, dass ich während meines Aufenthalts hier tanzen gelernt habe. Ich bin kein schlechter Tänzer mehr.“
„Oh, ich weiß, dass Sie ausgezeichnet tanzen“, sagte Sophie. „Werden Sie einen Walzer mit mir tanzen, wenn es der Major erlaubt? Das heißt – wenn Sie diese Verabredung in Olivia Bergers Gegenwart nicht vergessen.“
„Madame Berger hat keinerlei Einfluss auf mein Gedächtnis.“
„Aber – auf Ihr Herz.“
„Wie kommen Sie darauf? Sie ist sehr hübsch, sehr amüsant, sehr kokett – alles, was Sie wollen, nur nicht liebenswert.“
„Sie sollte Sie einmal so sprechen hören“, sagte Sophie.
„Der Wagen steht schon lange vor der Tür“, rief Madame Rosenberg und knüpfte ein großes Tuch über ihren rosa Turban. „Wir müssen gehen.“
Sophie berührte die Hand ihrer Schwester und flüsterte: „Siehst du, dass ich recht hatte?“
Isabelle senkte den Kopf und schwieg.
Hamilton hörte Sophies Worte und war erstaunt – sollte die schöne Isabelle etwa eifersüchtig gewesen sein?
Obwohl der Hofball eine überaus pompöse Veranstaltung war, war Hamilton mit seinen Gedanken ganz woanders. Um zehn Uhr verließ er den Saal, sprang die Marmortreppe hinab, stieg in seine Kutsche und fuhr zum Museum. Sobald er den Tanzsaal betreten hatte, suchte er nach Isabelle. Noch ehe er sie erblickt hatte, kam Sophie lächelnd auf ihn zu. „Ich wusste, dass Sie kommen würden“, sagte sie und zeigte ihm ihre Ballkarte. „Sehen Sie, ich habe für Sie zwei Tänze eingetragen.“
„Ich danke Ihnen“, sagte Hamilton. „Ich kann nur eine Stunde bleiben, und da Ihre Schwester vermutlich vergessen hat, einen Tanz für mich zu reservieren, werden Sie mir vielleicht auch den zweiten Walzer gewähren.“
„Oh, das wage ich nicht, der Major wird es nicht erlauben. Ich wünschte, er würde nach Hause gehen. Er ist jetzt schon müde. Aber ich bin sicher, dass Isabelle mit Ihnen tanzen wird.“
Kurz darauf trat Madame Rosenberg zu ihnen. „Sehen Sie nur, wie hübsch unsere Mädchen sind. Sie glauben gar nicht, wie höflich die Männer zu mir sind, wenn sie wissen, dass es meine Töchter sind. Für Franz ist der Abend ein Triumph. Nur der Major amüsiert sich nicht. Es wäre am besten, wenn er in das Gesellschaftszimmer ginge und eine Zigarre rauchen würde. Er kann nicht erwarten, dass Sophie den ganzen Abend neben ihm sitzt, wie sie es zuhause macht. Sie hat ihre Pflicht erfüllt und zwei Mal mit ihm getanzt, mehr kann er nicht verlangen. Der Major hat auch gar kein Taktgefühl. Denken Sie nur, er hat vorhin ernsthaft verlangt, sie solle hier heute Abend den Hochzeitstag festsetzen. Das ist nun wirklich eine Zumutung – auf einem Ball!“
Isabelle ging am Arm ihres Vaters im Saal umher und plauderte ungezwungen. Hamilton musste sie suchen, als die Musik von Neuem begann. Er reichte ihr seinen Arm und sie gingen zusammen auf die Tanzfläche zu, als sich ihnen plötzlich Graf Raimund näherte.
„Wohin gehst du, Isabelle? – Vergiss nicht, dass dieser Galopp mir gehört.“
„Nein, Philipp, ich habe dir den zweiten versprochen.“
„Das kann nicht sein, Isabelle, denn dafür bin ich mit … mit Caroline engagiert. Ich glaube – ich bin mir sicher, dass du mir diesen Tanz versprochen hast.“
„Und ich bin mir sicher ...“, begann Isabelle, aber ein Blick in das Gesicht ihres Cousins ließ sie zögern. „Vielleicht wird es Herrn Hamilton, da er Engländer ist und sich nichts aus diesen Tänzen macht, aber sogar
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