Die Versuchung
Ouvertüre wird wohl schon vorüber sein.“
„Aber nicht das Ballett!“, sagte Hamilton. „Wenn ich das sehe und die Arie der Prinzessin höre, so bin ich zufrieden.“
Rosenberg, der Unpünktlichkeit hasste, stand auf und verließ das Zimmer, während Hamilton in aller Ruhe sitzen blieb.
„Sie werden noch die halbe Oper verpassen!“, bemerkte der Major.
„Das ist gut möglich, aber das macht nichts, ich habe sie schon oft gehört.“
„Ich wusste, dass Herr Hamilton sich eigentlich gar nichts aus dem Ballett macht!“, rief Sophie.
„Oh, ich mache mir durchaus etwas aus Ballett, aber es würde mir noch besser gefallen, wenn die Tänzerinnen hübscher wären und nicht so dicke Beine hätten!“
„Oha, stille Wasser sind tief!“, rief der Major. „Es ist schade, dass deine Mutter diese Worte nicht gehört hat, sie hätte ihren Ohren nicht getraut.“
„Wieso?“, fragte Hamilton. „Wollen Sie behaupten, Sie hätten früher nicht gern ein Ballett oder eine schöne Frau gesehen?“
„Wir wollen dieses Thema nicht in Gegenwart der jungen Damen besprechen!“, sagte der Major.
„Es gibt da nichts weiter zu besprechen“, erwiderte Hamilton ruhig. „Ich sehe gerne ein hübsches Gesicht und hübsche Beine im Ballett, und ich bin sicher nicht der Einzige, der das tut. Eine der Darstellerinnen heute Abend hat übrigens das längste Haar, das ich je gesehen habe.“
„Das Haar von Sophie ist auch sehr lang“, antwortete Stutzenbacher und berührte bewundernd die dunklen Flechten, die um ihren Hinterkopf gelegt waren.
„Sie würden auch eine reizende Ballett-Tänzerin abgeben“, sagte Hamilton lächelnd auf Französisch.
„Was sagt er?“, fragte der Major.
„Dass ihm das Ballett so gut gefällt“, antwortete Sophie verlegen.
„Ja, wegen der hübschen jungen Damen“, murmelte der Major und flüsterte ihr dann zu: „Ich weiß sogar, welche ihm besonders gut gefällt.“
„Du meinst Isabelle?“
„Nein, eine andere. Aber mehr kann ich nicht sagen – sie ist verheiratet.“
Sophie zuckte erschrocken zusammen. Der Major zögerte kurz, konnte aber der Versuchung nicht widerstehen, ihre Sympathie für Hamilton grundlegend zu erschüttern und flüsterte: „Es ist keine andere als deine Freundin, Madame Berger.“
„Unmöglich.“
„Aber gewiss. Als deine Mutter ihm verbot, das Haus zu betreten wegen der Choleragefahr, wurde er von den Bergers eingeladen, die Abende in ihrem Haus zu verbringen, was er auch häufig getan hat. Berger ist überdies der Arzt des Grafen Zedwitz. Wenn es schicklich wäre, so würde Hamilton vermutlich jetzt bei den Bergers wohnen.“
Sophie schien in tiefes Nachdenken versunken; sie beugte den Kopf tief über ihre Handarbeit und hörte kaum zu, als der Major sich verabschiedete, um doch noch ins Theater zu kommen. Isabelle hatte die letzte halbe Stunde den Kopf auf die Hand gestützt und von dem, was um sie herum vorging, scheinbar nichts bemerkt. Sophie ging zu ihr und tat so, als spreche sie mit ihr über ihre Handarbeit, während sie ihr leise erzählte, was der Major gesagt hatte. Isabelle wurde schlagartig blass, was Hamilton sofort bemerkte.
„Was ist? Fühlen Sie sich nicht wohl?“, fragte er besorgt.
„Es ist nichts“, sagte sie schnell, während sie aufstand und auf die andere Seite des Zimmers ging.
„Ist es nicht abscheulich?“, flüsterte Sophie, die ihr gefolgt war. „Sie ist die letzte Person, an die ich gedacht hätte.“
„Aber die Erste, an die ich bei so etwas denken würde!“, erwiderte Isabelle.
Es klingelte und kurz darauf kam die Erwähnte herein.
„Was für ein Zufall!“, rief Sophie, während Madame Berger auf Hamilton zuging, ihm ihre Hand hinhielt und sagte: „A l'Anglaise! Die englische Sitte, sich die Hand zu schütteln, gefällt mir sehr, sie ist so freundschaftlich. Bon soir, Isabelle! Gib mir einen Kuss, Sophie. Ich bin zu Fuß durch den tiefen Schnee gestapft, um über den ersten Ball in diesem Jahr zu sprechen.“
„Wie ärgerlich, dass ich eigentlich gerade ins Theater wollte“, sagte Hamilton.
„Wie unhöflich, jetzt zu gehen! Können Sie mir nicht wenigstens eine halbe Stunde schenken?“
„Aber natürlich, auch eine Stunde oder zwei, wenn Sie es wünschen.“
Isabelle und Sophie blickten einander vielsagend an.
„Ich habe die angenehmen Abende, die ich während meiner Verbannung in Ihrem Hause verbracht habe, nicht vergessen“, fuhr er fort. „Sie werden stets zu meinen freundlichsten
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