Die Versuchung
hält. Ich komme mit ihr immer gut aus.“
„Ja, aber vielleicht deshalb, weil Sie ihr auch einfach immer nachgeben. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Ich frage mich, warum Sie den Antrag von Major Stutzenbacher angenommen haben, wenn Sie ihn doch auch nicht heiraten wollen?“
„Er hat mich gar nicht gefragt. Er hat mit der Mama gesprochen und an den Papa geschrieben und beide sind einverstanden – wie soll ich mich da weigern? Aber denken Sie, er ist schon zweiundvierzig und ich werde demnächst erst siebzehn.“
„Das ist natürlich ein großer Altersunterschied.“
„Aber es ist nicht nur das Alter. Er gefällt mir einfach überhaupt nicht. Ich hasse Männer mit Schnurrbart und bald wird er auch eine Glatze haben.“
„Wenn er Ihnen zuliebe sein Äußeres verändern könnte, würde er es sicher tun“, bemerkte Hamilton lächelnd.
„Isabelle kann Männer mit großem Schnurrbart auch nicht leiden“, sagte Sophie schnippisch.
„Isabelle wird für ihre Meinung sicher gute Gründe haben“, sagte Hamilton leicht ironisch. „Allerdings ist mir noch nicht aufgefallen, dass sie eine Abneigung gegen den jungen Graf Zedwitz hat, und der hat ja nun auch einen ziemlich großen Schnurrbart.“
„Isabelle sagt, dass der Graf sehr gute Manieren habe und es nie wagen würde, sich zu viel herauszunehmen.“
„So, sagt sie das. Und wer nimmt sich nach Isabelles Meinung zu viel heraus?“
„Sie meint, dass Sie es tun – oder dass Sie es tun würden, wenn man es Ihnen erlauben würde.“
„Sieh mal an. Ich bin mir sicher, wenn sie hier mit Zedwitz auf der Bank säße ...“
„Isabelle würde so etwas niemals tun – und ich dürfte es auch nicht tun!“, rief sie und sprang auf. Ängstlich sah sie sich nach allen Seiten um und fragte dann kaum hörbar: „Was ist das?“
„Was – was meinen Sie?“
„Dort – dort drüben in der Ecke! Da ist jemand!“
„Das ist nur irgendeine Figur aus Stein.“
„Nein, ich habe gesehen, dass sie sich bewegt ...“
„Das haben Sie sich nur eingebildet, weil Sie Angst haben, dass uns jemand sehen könnte. Hier ist mit Sicherheit niemand. Aber wenn Sie wollen, dann gehe ich hinüber und ...“
„Nein, auf keinen Fall, lassen Sie mich hier nicht alleine. Oh, warum bin ich hierher gekommen?“
„Beruhigen Sie sich, ich bin überzeugt, dass es gar nichts ist ...“
„Da – es hat sich wieder bewegt!“
Sie klammerte sich an seinen rechten Arm und verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter.
„Kommen Sie“, sagte Hamilton, „erlauben Sie mir, dass ich Sie nach oben in Ihr Zimmer bringe.“
Sophie zitterte und rührte sich nicht Fleck, wie gebannt starrte sie hinüber in jene Ecke, während Hamilton versicherte, es sei dort ganz sicher nichts. Mit sanfter Gewalt versuchte er, sie über den Innenhof zu ziehen, doch in diesem Augenblick bemerkte auch er, wie sich die „Figur“ eindeutig bewegte; das Mondlicht ließ einen Mantel sichtbar werden, der ganz sicher nicht aus Stein gemeißelt war. Sophie stöhnte kurz auf, rang nach Atem – und sank dann lautlos zu Boden, während Hamilton vergeblich versuchte, sie festzuhalten.
Gleichermaßen erschrocken wie wütend drehte er sich zu der seltsamen Gestalt um und rief halblaut: „Hören Sie auf mit Ihrer albernen Komödie und kommen Sie hervor, wer immer Sie sein mögen – sehen Sie, was Sie angerichtet haben!“
Im nächsten Augenblick stand der junge Graf Zedwitz neben ihm. Er versuchte sich zu entschuldigen und versicherte, er habe keineswegs die Absicht gehabt, hier als Geist aufzutreten.
„Es ist mir völlig gleich, was Sie sich gedacht haben“, zischte Hamilton wütend, „was haben Sie um diese Zeit hier zu suchen? Sie haben das arme Mädchen zu Tode erschreckt.“
„Es tut mir leid – es war töricht von mir – oder auch unrecht, wenn Sie wollen. Aber ich versichere Ihnen hoch und heilig, dass ich kein Wort von Ihrem Gespräch mitgehört habe.“
„Von mir aus hätte die ganze Welt zuhören können“, rief Hamilton halblaut und schüttelte wütend die Hand ab, die Zedwitz ihm auf die Schulter gelegt hatte. „Sagen Sie mir lieber, was wir jetzt tun sollen. Sie gibt kein Lebenszeichen von sich, am Ende brauchen wir noch einen Arzt.“
„Nein, sicher nicht, sie ist nur ohnmächtig; ich werde ihr ein Glas Wasser holen.“
„Sind Sie wahnsinnig?“, zischte Hamilton. „Wollen Sie vielleicht jemanden aufwecken? Es darf niemand erfahren, dass sie mit mir ... mit uns … hier gewesen
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