Die Versuchung
Engelsgesicht!“
„Trauen Sie einem Engelsgesicht nie!“, rief Hamilton lachend. „Mein Bruder John, der ein paar Jahre älter ist als ich, pflegt zu sagen, dass Frauen, die wie Engel aussehen, oft die reinsten Teufel sind – aber wenn sie das nicht sind, dann sind sie Langweilerinnen. Wenn ich die Wahl hätte, dann würde ich einen Teufel einer Langweilerin allemal vorziehen – auch als Ehefrau!“
Zedwitz runzelte die Stirn. „Sie halten sie also für ein kleines Biest?“, fragte er.
„Das wäre vielleicht übertrieben. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass sie ausgesprochen unfreundlich werden kann, wenn ihr etwas nicht passt. Und da war sie noch nicht wirklich wütend ...“
„Warum war sie …“
„Das spielt keine Rolle. Auf jeden Fall nannte sie mich einen Narren und stampfte mit dem Fuß auf, und vermutlich hätte sie mich auch geohrfeigt, wenn ich nicht das Weite gesucht hätte.“
„Sie müssen irgendetwas getan haben, was sie besonders gereizt hat. Wären Sie so schüchtern und zurückhaltend bei Frauen, wie Sie behaupten, wäre das wohl nicht passiert. Bei Sophie hatten Sie einfach mehr Glück – sie hat Sie nicht nur nicht geschlagen, sie ist Ihnen sogar in die Arme gesunken.“
„Weil sie zu Tode erschrocken war. Hätte ich sie nicht festgehalten, wäre sie wie ein Stein zu Boden gefallen.“
„Sicher. Aber reden Sie keinen weiteren Unsinn mehr darüber, wie schüchtern Sie seien. Sie waren an der Treppe nun wirklich nicht zaghaft.“
„An der Treppe? Waren Sie etwa dort?“
„In der Nähe – ich war als Ratte getarnt.“
„Wirklich schade, dass ich Sie nicht mit dem Rechen getroffen habe – dann wäre uns die Szene erspart geblieben, in der Sie als Gespenst erschienen sind.“
„Vielleicht. Aber Sie haben mich doch selbst aufgefordert, zu Ihnen zu kommen. Ich hätte Sie nicht gefunden, wenn Sie mir nicht am Fuß der Treppe zugeflüstert hätten: 'Ich bin hier, geben Sie mir Ihre Hand!'“
„Also Sie waren das! Wissen Sie, was ich von Ihnen halte?“
„Kommen Sie, Hamilton, ich hatte nicht die Absicht, Ihnen den Abend zu verderben. Lassen Sie uns einfach morgen ein Glas auf unsere Freundschaft trinken. Immerhin werden wir uns nicht in die Quere kommen, wir sind ja keine Nebenbuhler.“
„Seien Sie da nicht zu sicher – Isabelle ist zwar ein kleiner Teufel, aber langweilig ist sie schon deshalb garantiert nicht ...“
„Ich dachte, Ihnen gefällt Sophie?“
„Ehrlich gesagt bin ich da ziemlich unentschlossen. Ich bin einfach auf der Suche nach einem kleinen Flirt, um mir die Zeit zu vertreiben, während ich hier in Deutschland bin – also sagen wir nach einer Liebelei, wenn Sie das englische Wort nicht kennen. Und für eine kleine harmlose Liebesgeschichte taugt die eine Schwester letztlich so gut wie die andere. Für Sophie spricht allerdings, dass daraus schon deshalb nichts Ernstes werden kann, weil sie ja demnächst Major Stutzenbacher heiratet.“
„Sie soll den Major heiraten?“
„Hat Isabelle Ihnen das nicht gesagt?“
„Kein Wort!“
„Nun, lassen Sie uns das Fenster öffnen und eine Zigarre bei Vollmond rauchen, und dann erzähle ich Ihnen das, was ich weiß. Sie müssen mir nur versprechen, dass Sie es für sich behalten.“
5
Madame Rosenberg zeigte sich am nächsten Morgen erstaunt, dass Sophie „unpässlich“ war und nicht zum Frühstück erscheinen konnte. Hamilton blickte zu Zedwitz und Zedwitz zu Hamilton und dann sahen beide Isabelle an, die jeden Blickkontakt vermied. Dennoch sah es fast so aus, als husche ein Lächeln über ihr Gesicht, als Zedwitz sich unerschrocken neben sie setzte und ein Gespräch begann. Da Major Stutzenbacher ganz mit seinem Frühstück beschäftigt schien, wandte sich Hamilton der ahnungslosen Madame Rosenberg zu. Aus verschiedenen Anspielungen und kleinen Scherzen entnahm er, dass sie ihn offenbar neugierig machen wollte und ihm gar zu gern die Neuigkeit von Sophies Verlobung mitgeteilt hätte. Er stellte sich jedoch dumm und sprach ausdauernd über andere Dinge. Schließlich schlug er mit harmlosem Blick für den nächsten Tag einen Ausflug an den nahen Chiemsee vor, und Zedwitz erklärte sofort, das sei eine ausgezeichnete Idee. Obwohl der Major bemerkte, es sei ziemlich heiß und man müsse mit einem Gewitter rechnen, nickte Madame Rosenberg zustimmend mit dem Kopf und meinte, eine kleine Ablenkung werde Sophie vermutlich gut tun.
Hamilton fragte Zedwitz, ob seine Mutter und seine
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