Die Versuchung
spielte mit ihrem Taschentuch, das mit breiter Baumwollspitze besetzt war. „Aber wolltest du mir nicht sagen, in wen du dich in Seeon verliebt hast? War es nicht Graf Zedwitz?“
„In niemanden“, antwortete Sophie hastig.
„Du weißt, dass du mir ein Geheimnis anvertrauen kannst ...“
„Es gibt kein Geheimnis!“
„Nun gut, wenn du nicht darüber sprechen willst, dann sag mir wenigstens, wer dieser große und ungemein gut aussehende junge Mann ist, der dort drüben am Fenster mit deinem Vater spricht.“
„Das ist er!“, entfuhr es Sophie und sie wurde rot.
„Wer?“
„Der Engländer, den wir in Seeon getroffen haben!“
„In Seeon? Ach, ich verstehe … ich gebe zu, in ihn hätte ich mich wahrscheinlich auch verliebt … Wie kommt es, dass er heute hier ist?“
„Er wohnt bei uns, er hat die beiden Zimmer von der Mama gemietet.“
„So? Kann er Deutsch?“
„Ja, sehr gut!“
„Stell ihn mir bitte vor, ich möchte ihn kennen lernen.“
„Das geht nicht.“
„Wieso nicht? Ich hätte Theodor allen möglichen Leuten vorstellen können, da ist doch nichts dabei. Gib ihm einfach ein Zeichen.“
„Auf keinen Fall – wie sieht das aus?“
„Nun stell dich nicht so an – gerade eben hat er herüber gesehen. Oder willst du, dass ich Isabelle bitte?“
„Ja, geh nur zu Isabelle“, sagte Sophie erleichtert, „oder wende dich einfach an die Mama.“
Olivia zuckte die Achseln und ging mit einem gekünstelten Lächeln quer durch den Raum zu Isabelle, die ihr den Rücken zukehrte.
„Isabelle, Liebe, willst du mich nicht eurem Engländer vorstellen? Was Sophie mir über ihn gesagt hat, klang sehr interessant. Aber er soll natürlich nicht merken, dass ich seine Gesellschaft suche, du verstehst – es sollte eher eine zufällige Bekanntschaft sein.“
Isabelle sah sie kühl an. „Willst du mit mir zufällig auf die andere Seite des Zimmers gehen?“
„Natürlich nicht.“
„Soll ich ihn zufällig zu uns herüber rufen?“
„Rufen? Auf keinen Fall! Du solltest ihm einfach diskret zu verstehen geben, dass du mit ihm sprechen möchtest.“
„Ich möchte nicht mit ihm sprechen, und das weiß er auch. Sophie hätte dir sagen können, dass wir kein besonders gutes Verhältnis haben. Bitte lieber die Mama darum.“
„Mein Gott, man könnte wirklich meinen, ihr hättet Angst vor diesem Mann, so wie ihr euch anstellt ...“
„Herr Hamilton!“, rief Isabelle laut und deutlich, und der Angesprochene sah sich erstaunt um, kam jedoch augenblicklich zu ihr herüber.
Madame Berger lachte affektiert und flüchtete sich dann auf das Sofa. Isabelle folgte ihr mit Hamilton, dem sie kurz erklärte, dass ihre Bekannte ihn gern kennen lernen würde, weil er Engländer sei und sie ihn für interessant halte. Hamilton lächelte, als er sich neben die Doktorin setzte, und nach wenigen Minuten unterhielten sie sich scheinbar so ungezwungen, dass Sophie leise zu ihrer Schwester sagte: „Du hattest recht, Isabelle, Olivia ist eine, die jedem Mann schöne Augen macht. Sieh nur, wie sie lacht und Herrn Hamilton ihren Schmuck bewundern lässt.“
„Er hat sie längst durchschaut – du brauchst nur in sein Gesicht zu sehen, dann weißt du es. Er macht sich über sie lustig.“
„Kommt her, Mädchen“, rief Madame Rosenberg. „Was steckt ihr schon wieder die Köpfe zusammen? Kommt und helft mir beim Teemachen. Isabelle, in der Küche ist kochendes Wasser, Sophie du kannst Butterbrot schneiden oder Kuchen anbieten.“
Tee war damals in Süddeutschland gerade erst in Mode gekommen, weshalb seine Zubereitung für Gastgeberinnen als große Herausforderung galt. Der Tee, den Madame Rosenberg ihren Gästen wenig später servierte, schmeckte bitter und leicht rauchig. Alle wunderten sich, woran das wohl liegen könnte, während Frau Rosenberg versicherte, dass sie schon zweimal „einen Tee“ gegeben habe und dass er vorzüglich gewesen sei. Vielleicht habe das Wasser zu stark gekocht … Da niemand rechte Lust hatte, das Gebräu zu trinken, wandte sie sich errötend an ihren englischen Gast: „Herr Hamilton, Sie kennen sich doch sich mit der Kunst der Teebereitung aus – seien Sie bitte so gut und kommen Sie mit in die Küche, damit wir den Tee unter Ihrer Anleitung noch einmal machen.“
Er erklärte sich dazu gern bereit, auch wenn in England der Tee stets im Salon zubereitet wurde; letztlich setzte sich eine ganze Prozession in Bewegung, bestehend aus Madame Rosenberg, Isabelle, Sophie,
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