Die Versuchung
Verachtung.“
„Moment“, rief Hamilton fast belustigt, „von Verachtung war keine Rede. Ich sagte, ich wünschte, Sie würden mich hassen. Hass enthält immerhin etwas Respekt ...“
„Isabelle, wo bleibst du denn?“, rief Frau Rosenberg ungeduldig.
„Sie streitet mal wieder“, sagte Major Stutzenbacher halblaut.
„Nein, sie streitet nicht“, widersprach Sophie, „Sie verstehen sie nicht – sie hat recht ...“
„Recht, mich ohne Grund zu hassen?“, rief Hamilton mit gespieltem Erstaunen.
„Nein, ich meine nicht … das heißt … ich glaube … ich bin sicher … dass Isabelle weder Sie noch sonst jemanden hasst“, stammelte Sophie und zog sich hastig in den Teil des Zimmers zurück, der offenbar dem unverheirateten weiblichen Teil der Gesellschaft vorbehalten war. In diesem Moment öffnete sich die Tür und Madame Rosenberg, gefolgt von Isabelle und einem Mädchen, trat mit angezündeten Lichtern ein. Kurz darauf ertönte die Hausklingel und das Mädchen eilte aus dem Zimmer, um zu öffnen.
„Es sind gewiss die Bergers“, sagte Madame Rosenberg, als sie mit ihren Kerzen hinüber zum Klavier ging. „Schön dass sie noch kommen, sie spielt die Walzer immer so schön.“
Hamilton blickte zur Tür, und eine hübsche junge Frau mit sehr langen, üppigen blonden Locken und ein älterer Mann traten ein. Offenbar waren sie verheiratet. Er sah, dass Sophie aufsprang, um die Frau zu umarmen und dabei rief: „Olivia, wie ich mich freue, dich zu sehen – wo hast du nur die ganze Zeit gesteckt?“
„Ich war in Starnberg, mein Mann hat mich heute Nachmittag erst abgeholt, ich bin gerade mal seit ein paar Stunden wieder in München. Du kannst dir vorstellen, wie ich mich beeilt habe, um hierher zu kommen! Sieh mal, ist dieses Armband nicht entzückend – der Doktor hat es mir zu meinem neunzehnten Geburtstag geschenkt.“
Sie nahm Sophies Arm und zog sie beiseite, während sie flüsterte: „Ich hätte eine Ewigkeit auf Theo warten müssen. Er studiert jetzt bei meinem Mann, besucht mit ihm die Krankenhäuser und isst jeden Sonntag mit uns.“
„Ist der Doktor nicht eifersüchtig?“
„Warum sollte er eifersüchtig sein? Wenn Theodor reich gewesen wäre, hätte ich natürlich lieber ihn genommen, aber ein armer Student … völlig unmöglich! Trotzdem war ich ernsthaft in ihn verliebt ...“
„Das kann ich mir vorstellen“, sagte Sophie, „und besonders in Seeon!“ Sie seufzte.
„Nun, du hast in Seeon wohl keinen Mann getroffen, in den du dich hättest verlieben können? Ich möchte den Major Stutzenbacher nicht beleidigen, aber … nun ja, aber die Gesellschaft in Seeon ist ...“
„Oh, es waren recht nette Leute dort. Graf Zedwitz und seine Familie – ich bin mir sicher, dass sein Sohn Isabelle einen Antrag gemacht hat, obwohl sie sich weigert, darüber zu sprechen.“
„Graf Zedwitz! Aber Isabelle wäre doch nicht so töricht, einen solchen Antrag ...“
„Pst, sprich nicht so laut, es ist ein Geheimnis und Isabelle würde mir nie verzeihen, wenn sie ...“
„Ich glaube kein Wort davon“, sagte die frisch verheiratete Frau Doktor und zupfte an ihren Locken. „Isabelle hätte ganz sicher darüber gesprochen, wenn an der Sache irgendetwas dran wäre. Wahrscheinlich hat es der Graf nicht ernst gemeint. Oder sie hat ihn mit einem Wutanfall verschreckt. Erinnerst du dich noch, wie sie mich einmal angeschrien hat, als ich aus … aus Versehen einen Brief eures Vaters an sie gelesen hatte? Regelrecht getobt hat sie. Ich fand es unverzeihlich von Mademoiselle Hortense, dass sie nicht meine Partei ergriffen hat. Aber nachdem Isabelle für die Schönheiten-Galerie des Königs gemalt worden war, konnte sie sich natürlich alles erlauben.“
„Sprich nicht so von ihr“, sagte Sophie leise, „ich weiß, dass ihr immer Rivalinnen wart.“
„Ja, in der Schule hat man uns 'die verfeindeten Schönheiten' genannt – aber weißt du, seit meiner Heirat interessiert mich das nicht mehr. Ich habe eine angesehene Stellung in der Gesellschaft, vor allem seit der Doktor zur königlichen Familie gerufen worden ist.“
„Wirklich?“
„Ja, meine Liebe, er ist nicht gerade fest angestellt, aber als die übrigen Ärzte gerade auf dem Land waren, ließ man ihn kommen, um eine von den Hofdamen zu behandeln, und sie hat versprochen, ihren Einfluss zu seinen Gunsten geltend zu machen. Seine Praxis ist sehr gut besucht, aber es macht sich natürlich gut, an den Hof gerufen zu werden.“
Sie
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