Die Versuchung
nervös.
„Das ist unwahrscheinlich, sie sitzt jetzt beim Tee.“
Doch schon öffnete sich die Tür des Gesellschaftszimmers.
„Ich wusste es, sie kommt!“ jammerte Sophie.
Aber es war nur Isabelle, die die leere Teekanne in die Küche brachte, um sie neu zu füllen. Als sie hörte, was passiert war, bat sie Hamilton, mit ihr zur Gesellschaft zurückzukehren, da seine Abwesenheit auffallen und Major Stutzenbacher womöglich misstrauisch machen könnte. Er stimmte ihr zu. Der Tee wurde allgemein gelobt, aber Madame Rosenberg war sehr bestürzt, als sie erfuhr, dass der gesamte Inhalt des Tütchens dafür verwendet worden war, mit dem sie noch mindestens ein halbes Dutzend Mal ihre Freundinnen hatte bewirten wollen.
„Kein Wunder, dass der Tee gut ist“, sagte sie. „Das nenne ich einen englischen Tee. Aber auf diese Weise kann jeder Tee machen! Die Engländer denken freilich nicht darüber nach, was so ein Päckchen kostet. Ich für meinen Teil finde den Tee etwas bitter und würde empfehlen, ein wenig Rum hinein zu tun.“ Nach diesen Worten holte sie eine kleine Flasche hervor, worauf sich alle mit ihren Tassen um sie scharten.
Unterdessen saß Herr Rosenberg im Dämmerlicht am Kartentisch und trommelte mit den Fingern auf den Stapel Karten. Isabelle brachte hastig einen Kerzenleuchter aus dem Gesellschaftszimmer und setzte sich zu ihm.
„Ich danke dir, Isabelle“, sagte er, „ich sehe, wenigstens du denkst an mich. Rück doch bitte einen Stuhl für den Major zurecht und dann sieh nach, wo deine Schwester mit der Lampe bleibt, die sie mir bringen sollte.“
Isabelle ging langsam hinaus und blieb in der Tür des Gesellschaftszimmers stehen, wo Hamilton wieder neben der blond gelockten Olivia auf dem Sofa saß. Er fing ihren besorgten Blick auf und sah ihr nach, als sie die Tür hinter sich schloss.
„Warum sehen Sie Isabelle so an und warum starren Sie auf die Tür?“, fragte Madame Berger.
„Wenn es Ihnen nicht unangenehm ist, kann ich gerne statt der Tür Sie anstarren.“
„Sie wissen sehr gut, dass ich das nicht gemeint habe!“, rief sie in gespieltem Ärger. „Können Sie nicht einfach ganz ernsthaft meine Frage beantworten?“
„Ich beantworte nicht gerne Fragen“, erwiderte Hamilton und sah erneut zur Tür.
„Jetzt sehen Sie schon wieder ...“
Er drehte sich um, nahm eines der gut gestopften Sofakissen, legte es auf seine Knie, stützte seine Ellenbogen darauf, sah sie ruhig an und sagte: „Nun, Madame, wenn es denn sein muss, bin ich bereit, mich ausfragen zu lassen.“
„Sie sind wirklich völlig unmöglich!“
„Das ist keine Frage.“
„Sie sind derart überheblich und eingebildet ...“
Hamilton verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und sah starr geradeaus.
„Sind Sie von meiner Offenheit beleidigt?“
„Keineswegs.“
„Legen Sie das Kissen weg und schauen Sie nicht so, als ob Sie sich langweilen.“
„Ich werde Sie jetzt etwas fragen: Warum stört es Sie, wenn ich Mademoiselle Rosenberg ansehe und warum soll ich nicht die Tür anschauen, wenn mir danach ist?“
„Wenn Sie zur Tür sehen, drehen Sie mir den Rücken zu, das ist unhöflich“, antwortete sie.
„Nun gut. Und warum darf ich Mademoiselle Rosenberg nicht ansehen?“
„Oh, natürlich dürfen Sie sie ansehen, aber … nun … es sieht nicht so aus, als würden Sie ihr am liebsten aus dem Weg gehen.“
„Und wieso sollte ich ihr aus dem Weg gehen?“
„Ich weiß es nicht – aber Isabelle hat mir selbst gesagt, dass sie sich nicht besonders gut verstehen. Und da es für sie kein Mittelmaß gibt, bedeutet das doch wohl, dass sie Sie aus tiefster Seele hasst. Ich kenne sie schon länger, wissen Sie, wir waren auf derselben Schule.“
„Und wie war Ihr Verhältnis zu Isabelle?“
„Nun ja – man könnte vermutlich sagen, dass wir gewissermaßen Rivalinnen waren, in vielen Dingen. Wäre ich nicht mit Sophie befreundet gewesen, hätte ich vermutlich kaum mit ihr gesprochen. Sophie ist ein ganz wunderbarer Mensch, aber leider nicht besonders begabt. Wir liebten sie alle, aber mitunter haben wir auch über sie gelacht, weil sie manchmal etwas einfältig sein kann. Isabelle wurde immer sehr wütend, wenn sie es gemerkt hat, aber die Wahrheit ist, dass sie ihrer Schwester des öfteren selbst Vorhaltungen wegen ihrer Einfalt gemacht hat.“
„Isabelle ist also die Intelligentere der beiden Schwestern?“
„Ganz sicher. Was die Noten angeht, war sie vermutlich die Beste der
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