Die Versuchung
äußern.“
„Aber Sie sind der ideale Schiedsrichter, weil Sie unparteiisch sind.“
Isabelle murmelte etwas von Fremden und Familienangelegenheiten.
„Herr Hamilton ist kein Fremder mehr und er kennt auch bereits einige unserer Familienangelegenheiten.“
„Er ist kein so unparteiischer Schiedsrichter, wie du denkst“, bemerkte Isabelle.
Madame Rosenberg sah sie erstaunt an, bis sie fortfuhr: „Er wird es schwer finden, sich nicht auf deine Seite zu stellen oder deine Partei zu ergreifen, weil er eine gewisse Abneigung gegen mich hat.“
„Aber auch das spricht gegen dich Isabelle“, rief sie triumphierend, „warum sollte er eine Abneigung gegen dich haben, wenn du ihm gegenüber freundlich wärst? Du urteilst über dich selbst!“
„Es mag so sein“, antwortete Isabelle leise. „Niemand liebt mich, wie ich bin – außer meinem Vater!“
„Ich liebe dich, Isabelle!“, rief Sophie und ergriff die Hand ihrer Schwester. Schüchtern blickte sie zu ihrer Stiefmutter und ergänzte: „Dich liebe ich auch.“
„Deine Liebe werde ich bald auch zum Teil verlieren, das kann nicht anders sein“, sagte Isabelle mit brüchiger Stimme und beugte sich tief über ihre Handarbeit, um die Tränen zu verbergen, die in ihren Augen standen.
Madame Rosenberg war keine scharfe Beobachterin, ihr entging so manche Gefühlsregung bei anderen, und so sagte sie nur: „Natürlich wirst du für Sophie nicht mehr an erster Stelle stehen, wenn sie heiratet. Ihr Mann wird und muss die wichtigste Person für sie sein – das ist der Lauf der Welt – das Gesetz der Natur!“
Isabelle fiel die Handarbeit aus den Händen. Hamilton, der neben ihr auf dem Sofa saß, bückte sich danach und hob sie auf. In diesem Moment fühlte er, dass sein Handrücken feucht wurde – es waren Tränen. Er zuckte zusammen, als ob sie ihn geohrfeigt hätte und verließ unter einem Vorwand hastig das Zimmer. Er hoffte, dass die Diskussion bei seiner Rückkehr beendet wäre.
Als er zurückkam, war Madame Rosenberg jedoch offenbar gerade richtig in Fahrt gekommen, denn sie hielt Isabelle geradezu einen Vortrag: „Die Wahrheit ist, dass du mir nicht verzeihen kannst, dass ich nur eine Handwerkertochter bin, obwohl ich eine weitaus bessere Partie für deinen Vater war als deine Mutter mit ihrer vornehmen Familie. Was nützt es, eine Gräfin zu sein, wenn man keinen Kreuzer hat? Deine Mutter hatte nicht einmal eine ordentliche Aussteuer, und es ist kaum noch etwas da, das ich Sophie geben könnte. Und du weißt selbst, wie die Verwandten deiner Mutter auf die Heirat reagiert haben und dass sie euch niemals sehen wollten. Ich bin überzeugt, dass sie dich, wenn sie dir auf der Straße begegnen würden, nicht einmal grüßen würden. Nimm meinen Rat an und vergiss, dass deine Mutter eine geborene Gräfin Raimund war, erinnere dich daran, dass dein Vater der bürgerliche Franz Rosenberg ist, und eine Handwerkertochter seinen Haushalt zu dem gemacht hat, was er jetzt ist. Hör auf, dich als Märtyrerin zu fühlen, die ungerecht behandelt wird. Ich bin weitaus strenger erzogen worden als du, aber es hat mir nicht geschadet. Wenn du lernst, dein hitziges Temperament besser zu zügeln, so werden dich auch mehr Menschen lieben können, und auch Herr Hamilton wird seine ablehnende Haltung aufgeben.“
Hamilton war sicher, dass diese Worte keineswegs für seine Ohren bestimmt waren, und er wollte den Raum gerade wieder unauffällig verlassen, als Madame Rosenberg ihn sah und rief: „Sie können ruhig bleiben, Herr Hamilton, wir haben alles Nötige besprochen. Wir wollen in Zukunft freundlich miteinander umgehen und uns vertragen, nicht wahr, Isabelle? Komm her und gib mir einen Kuss, um zu beweisen, dass du mir nichts nachträgst.“
Isabelle stand aus und küsste ihre Stiefmutter ausdruckslos auf die Wange.
„Darf ich ebenfalls auf ein Zeichen der Versöhnung hoffen?“, fragte Hamilton mit gespielter Gleichmut und streckte lächelnd seine rechte Hand aus.
Isabelle tat, als ob sie ihn nicht verstehe, und setzte sich wieder auf ihren Platz.
„Du kannst Herrn Hamilton ruhig die Hand geben, Isabelle“, sagte Frau Rosenberg, „er ist Engländer und wird es nicht falsch verstehen. Herr Smith hat mir gesagt, dass das Händeschütteln eine englische Gewohnheit ist und nicht mehr bedeutet als einer Dame die Hand zu küssen.“
„Ich glaube, dass es weitaus weniger bedeutet“, sagte Hamilton lächelnd, während Isabelle nach kurzem Zögern seine Hand
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