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Die Versuchung

Die Versuchung

Titel: Die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jemima Montgomery
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das hereinfallende Mondlicht etwas erhellt wurde.
    „Ich habe einen Brief für Sie“, sagte er zu Sophie. „Major Stutzenbacher wird morgen früh hierher kommen und hofft, dass Sie bis dahin alles, was heute zwischen Ihnen vorgefallen ist, vergessen werden. Er sieht ein, dass seine Eifersucht Sie dazu getrieben hat, Dinge zu sagen, die Sie sonst nicht gesagt hätten, denn er glaubt, dass Sie sehr wütend auf ihn waren. Er hat Sie in sein Herz geschlossen und es wird Ihre Schuld sein, wenn es morgen nicht zur Aussöhnung kommt.“
    „Er ist sicher sehr wütend gewesen?“, fragte Sophie leise. „Sie wären sonst sicher nicht so lange geblieben.“
    „Ja, anfangs schon. Aber ich habe ihm erklärt, dass es nicht Ihre Schuld ist, wenn andere Männer sich in Sie verlieben.“
    „Wirklich? Haben Sie das gesagt?“, rief Sophie.
    „Das heißt, Sie haben genau das gesagt, was die Mama Ihnen aufgetragen hat“, bemerkte Isabelle etwas boshaft.
    Hamilton biss sich auf die Lippen und antwortete scheinbar völlig ruhig: „Nein, Mademoiselle – ich habe nicht genau das gesagt, was Ihre Mutter mir aufgetragen hat – ich habe einfach die Wahrheit gesagt.“
    Darauf setzte er sich auf einen Stuhl neben Sophie und nahm ihre Hand, während er hinzufügte: „Ich sagte dem Major, wie sehr ich Sie bewundert habe, weil Sie so hübsch und so sanftmütig sind. Aber ich habe ihm auch gesagt, dass ich keinerlei Heiratspläne hatte und habe, weil ich als jüngerer Sohn in England nun einmal in einer äußerst ungünstigen Lage bin.“
    Hamilton erklärte den Schwestern nun ziemlich ausführlich, dass in England das Vermögen nicht gleichmäßig auf alle Kinder aufgeteilt wird, sondern fast alles dem ältesten Sohn zukommt. So wächst ein jüngerer Sohn zwar ebenfalls völlig sorglos in einem reichen Elternhaus auf, um nach dem Abschluss seiner Studien jedoch plötzlich relativ mittellos da zu stehen, dazu gezwungen, sich mit Hilfe seiner Talente selbst zu ernähren. Aus diesem Grund ist es ihm fast immer unmöglich, früh zu heiraten. Sophies Tränen tropften nach dieser langen Erklärung auf den Brief des Majors, den sie ungelesen in der Hand hielt. Isabelle beobachtete ihn scheinbar regungslos und regte sich auch nicht, als Hamilton schließlich noch einmal Sophies Hand nahm und ihr leise zuflüsterte, er wünsche ihr Glück und hoffe, dass Sie ihn in Zukunft nicht noch einmal missverstehen werde.      
     
    12
    In den nächsten Wochen verbrachte Hamilton die Abende nur noch selten zuhause und ging den beiden Schwestern auch sonst aus dem Weg. Es schien, als seien sie sich unausgesprochen einig, dass dies für alle Beteiligten das Beste sei. Sophie sang nicht mehr, wenn sie in der Küche Pasteten buk und Pudding rührte, und wenn er seinen Kopf zur Tür herein streckte, drehte sie sich nicht um. Die Tür zu Isabelles Zimmer war meistens geschlossen, wenn sie ihre Brüder unterrichtete. Doch obwohl Hamilton versuchte sich einzureden, dass nun alles so sei, wie es sein sollte, konnte er nicht verhindern, dass er sich insgeheim nach der früheren Vertrautheit zurücksehnte.
    Als er an einem kalten Morgen im November das Haus verlassen wollte, um Graf Zedwitz einen Besuch abzustatten, bemerkte er, dass die beiden Schwestern mit ihrem Vater an einem Korridorfenster standen, das zum Hof ging. Sie trugen Trauerkleidung und hielten grüne Zweige mit roten Beeren in der Hand. Er hörte Rosenberg sagen: „Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass ich lieber allein und zu einer anderen Zeit gehe. Als ihr im Internat wart, bin ich dennoch stets an diesem Tag auf dem Friedhof gewesen. Die Aufgabe, das Grab zu schmücken, geht nun auf euch über.“
    „Ich hoffe, es ist kein unerwarteter Trauerfall eingetreten“, sagte Hamilton mit einem Blick auf die Schwestern.
    „Nein, nein“, antwortete Rosenberg, „heute ist Allerheiligen und meine Mädchen werden Kränze auf das Grab ihrer Mutter legen. Ich nehme an, Sie wollen auch zum Friedhof, wie alle heute.“
    „Nein – weshalb sollte ich dorthin gehen?“   
    „Das weiß ich nicht“, antwortete Herr Rosenberg, „aber vielleicht wäre es interessant für Sie, die geschmückten Gräber zu sehen.“
    „Sie haben recht – ich könnte zum Friedhof reiten, wenn ich von meinem Besuch zurückkomme“, sagte Hamilton und warf einen Blick auf die Kränze.
    „Meine Frau hat Isabelle heute früh mit diesen Kränzen und einem Strauß herrlicher Dahlien überrascht, und ich habe ihr gerade

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