Die Versuchung
wanderte im Haus umher, wo er dann alle möglichen Dinge, die nicht für seine Augen bestimmt waren, entdeckte. Er hatte bei solchen Gelegenheiten die Angewohnheit, alle halbe Stunde einen Teller Suppe zu essen und sich dann einzubilden, dass es die Krankheit sei, die ihm den Appetit auf das Mittagessen raubte.“
Hamilton lachte, und genau in diesem Augenblick trat Isabelle mit einem Tablett ein, auf dem eine kleine Suppenterrine stand. Sie stellte es vor ihn auf den Tisch, nahm den Deckel der Terrine ab und wartete, während er die Fleischbrühe zögerlich probierte.
„Sie haben sie nicht selbst zubereitet“, sagte er dann.
„Nein, ich – ich hörte die Stimme des Papas und bat Walburga ...“
„Das wusste ich“, antwortete er missmutig. „Walburga vergisst immer das Salz. Probieren Sie nur selbst, und Sie werden merken, dass die Suppe in ihrem jetzigen Zustand ungenießbar ist.“
„Lassen Sie mich kosten“, rief Madame Berger, „ich bin eine wahre Suppenkennerin. Lassen Sie sehen – der Geruch ist ausgezeichnet, aber der Geschmack? Hm, sie könnte vielleicht noch ein wenig Salz vertragen, aber – sie ist auf jeden Fall essbar.“
Nach diesen Worten löffelte sie die Suppe genüsslich aus und bemerkte: „Also, wenn man sie schnell hinunterschluckt, ist sie an einem kalten Tag wie heute gerade das Richtige.“
„Du magst das für einen guten Witz halten Olivia, aber es ist unverschämt“, sagte Isabelle wütend. „Du hast Herrn Hamiltons Suppe aufgegessen.“
„Dann geh eben in die Küche und bring eine neue. Ich verspreche dir, ich werde sie nicht anrühren.“
„Aber es ist keine mehr da.“
„Bah, als ob ich nicht wüsste, dass ihr noch Suppe zum Abendessen hättet.“
„Aber nicht diese Suppe!“, rief Isabelle naiv. „Die Mama und Sophie haben sie zusammen gekocht, und ich durfte sie nicht anrühren, weil sie Angst hatten, dass ich sie verderbe.“
„Welche Meinung sie von deiner Kochkunst haben müssen“, bemerkte Madame Berger boshaft.
„Es ist nicht schlimm“, sagte Hamilton, „ich verdiene keine Suppe, weil ich so kritisch war ...“
„Ich lasse Ihnen eine Tasse andere bringen, das ist besser als nichts“, sagte Isabelle und verließ das Zimmer.
„Eine sehr aufmerksame Krankenpflegerin“, bemerkte Olivia spöttisch.
„Das ist sie in der Tat – vor allem eine sehr geduldige“, antwortete Hamilton.
„Und höchst tyrannisch.“
„Nein, keineswegs.“
„Nun, was würde passieren, wenn Sie sich weigern, die Tasse Fleischbrühe zu essen, die Sie Ihnen jetzt bringen wird?“
„Das wäre undankbar und unhöflich.“
„Geben Sie zu, dass Sie es nicht wagen würden, sich zu verweigern. Sie stehen ganz unter ihrem Einfluss, wie ihre Schwester Sophie.“
„Wie boshaft Sie sind“, sagte Hamilton. „Ich glaube fast, Sie wünschen, dass wir uns zu Ihrer Unterhaltung streiten.“
Ehe die Doktorin antworten konnte, klopfte es und Graf Zedwitz trat ein.
„Ich habe Sie vor einer Stunde erwartet, Zedwitz – sind Sie aufgehalten worden?“
„Ich bin auf dem Teich im Englischen Garten Schlittschuh gelaufen“, antwortete Zedwitz. „Es hat gestern Abend gefroren und ...“
„Schlittschuh gelaufen! – Johann, hol mir gleich meine Schlittschuhe, ich liebe Schlittschuhlaufen.“
„Aber“, sagte Zedwitz zögernd, „ist es ratsam, so spät noch auszugehen? Denken Sie daran, dass sie drei Wochen das Haus nicht verlassen haben. Was wird der Doktor sagen?“
„Zum Teufel mit dem Doktor! Lassen Sie uns gleich mit einer Lohnkutsche zum Teich fahren. – Kommen Sie mit, Madame Berger?“
„Ich habe nichts dagegen, wenn Sie mich auf dem Rückweg zuhause absetzen.“
„Abgemacht!“, sagte Hamilton und ging in sein Schlafzimmer, um sich umzuziehen.
Madame Berger stand vor dem Spiegel und rückte ihren Hut zurecht, Zedwitz blätterte in einem Buch und Hamilton trat eben in das Zimmer, als Isabelle mit einer zweiten Schüssel Bouillon wieder erschien. Fragend sah sie Hamilton an.
„Ich gehe mit Zedwitz in den Englischen Garten, um Schlittschuh zu laufen“, sagte Hamilton.
„Vielleicht kommst du mit, Isabelle. Ich kann die Anstandsdame spielen“, sagte Olivia.
Isabelle würdigte sie keiner Antwort, sondern wandte sich an Zedwitz und sagte vorwurfsvoll: „Das ist sicher keine gute Idee von Ihnen, Herr Hamilton zum Schlittschuhlaufen einzuladen.“
„Ich versichere Ihnen, dass die Idee nicht von mir ist“, antwortete Zedwitz. „Ich habe nur erwähnt,
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