Die Versuchung
er die Tür des Salons öffnete und hinaus in den Korridor treten wollte, hörte er, wie Madame Rosenberg gerade laut und zornig sagte: „Ich habe noch nie etwas derart Lächerliches erlebt! Dass sich Sophie ausgerechnet in Herrn Hamilton verlieben muss! Wenn Sie nicht so einfältig wäre, dann müsste Sie sich denken können, dass er an alles andere als an solchen Unsinn denkt! Was die Meinung des Majors angeht, Herr Hamilton habe gesagt, er liebe dich, so ist das ein Irrtum. Er hat etwas Ähnliches gesagt, aber nur, weil ich ihn darum gebeten habe. Komm also bloß nicht auch auf die Idee und ...“
„Deine Sorge ist völlig unbegründet“, sagte Isabelle kühl.
Hastig riss Hamilton die Salontür auf und rief: „Wo ist Major Stutzenbacher?“
„Er ist leider gegangen. Oh, Herr Hamilton! Das ist eine höchst unerfreuliche Geschichte! Wenn er jetzt die Verlobung mit Sophie löst, wäre das ein schreckliches Unglück!“
„Dazu wird es nicht kommen, ich werde ihm alles erklären.“
„Er ist im Moment wirklich sehr zornig und aufgebracht und behauptet, dass wir ihn alle getäuscht haben. Können Sie nicht die Sache in Ordnung bringen, indem Sie sagen, dass Sie Sophie einige Aufmerksamkeiten erwiesen und Sie damals in Seeon wirklich ein wenig bewundert haben?“
„Natürlich werde ich das“, sagte Hamilton.
„Sagen Sie ihm bitte auch, dass Sie sich eigentlich gar nichts aus ihr machen und ihn heute Abend nur ein wenig ärgern wollten, weil er Sophie gekränkt hat.“
„Ich werde mit ihm sprechen und die Schuld auf mich nehmen“, antwortete er, schloss die Tür hinter sich und eilte die Treppe hinab.
„Er ist wirklich ein sehr vernünftiger junger Mann“, sagte Madame Rosenberg, „und so verständnisvoll. Auf alle Fälle werde ich heute Abend nichts mehr tun und gleich zu Bett gehen. Sag Sophie, dass ich sie erst morgen wieder zu sehen wünsche. Was wird nur euer Vater dazu sagen, wenn er es erfährt?“
Hamilton blieb sehr lange weg. Er hatte den Major auf der Straße eingeholt, als dieser gerade seine Wohnung erreicht hatte, hatte noch auf der Straße eine Weile auf ihn eingeredet und war dann über eine Stunde bei ihm in der Wohnung gewesen. Es war schon nach Mitternacht, als er zurückkam, und die Wohnungstür mit dem Schlüssel öffnete, den Madame Rosenberg ihm gegeben hatte. Er wollte leise in sein Zimmer gehen, als er hörte, wie sein Name gerufen wurde. Er blieb stehen. Kurz darauf erschien Herr Rosenberg in einem langen Schlafrock und Pantoffeln und bat ihn, ins Zimmer zu kommen. Hamilton zögerte, aber Madame Rosenberg ließ keinen Zweifel daran, dass er eintreten sollte. Eine trübe brennende Nachtlampe erleuchtete eine Ecke des Schlafzimmers und ließ einen Stuhl neben dem Bett erkennen, auf den er sich setzen musste, um zu berichten, wie das Gespräch mit dem Major verlaufen war. Hamilton erzählte soviel wie er für notwendig hielt, dann sagte er, er habe einen Brief zu überbringen.
„Einen Brief! Geben Sie ihn mir!“, rief Madame Rosenberg.
„Er ist – für Mademoiselle Sophie“, sagte Hamilton.
„Das tut nichts zur Sache, bei einem solchen Anlass haben die Eltern das Recht, einen wichtigen Brief zu lesen. Wer weiß, was Sophie hinterher darüber erzählen würde. Franz, zünde Licht an, damit ich lesen kann, was der Major geschrieben hat.“
Hamilton gab ihr widerstrebend den Brief und beobachtete Madame Rosenberg. Er hatte noch nie eine so merkwürdige Nachtkleidung gesehen, wie die, die im Schein des Lichts sichtbar wurde. Ihre Nachthaube glich einer Papiertüte, die unter dem Kinn mit einem Band gebunden wurde. Sie trug eine bedruckte Nachtjacke mit überaus weiten Ärmeln, wie sie vielleicht vor zwanzig Jahren Mode gewesen waren. Herr Rosenberg hielt die Kerze, blickte ihr über die Schulter und schien sehr erfreut über den Inhalt des Briefes, den seine Frau Hamilton mit den Worten zurückgab: „Ich sehe, dass Sie in etwa das gesagt haben, worum ich Sie gebeten habe, und wir sind Ihnen sehr dankbar. Es wäre wirklich eine sehr unangenehme Geschichte gewesen, wenn die Hochzeit abgesagt worden wäre, und der Major hat offen damit gedroht.“
„Du hältst Herrn Hamilton auf, Babette“, bemerkte Rosenberg.
Sie lächelte, zog ihre Decke bis zum Kinn und wünschte ihm eine gute Nacht.
Als Hamilton in den Flur kam, stand die Tür zu Sophies Zimmer offen. Sie und ihre Schwester hatten ihn offensichtlich ebenfalls erwartet. Sie saßen im dunklen Zimmer, das nur durch
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