Die Versuchung
krank?“, fragte Zedwitz.
„Isabelle geht es nicht gut“, sagte Hamilton. „Haben Sie etwas dagegen, dass wir warten, bis der Doktor mit der Untersuchung fertig ist?“
„Ganz im Gegenteil“, erwiderte Zedwitz und setzte sich offenbar beunruhigt nieder.
„Ich werde inzwischen Johann bitten, mein Gepäck nach unten zu bringen“, sagte Hamilton.
Der Diener nahm seinen Koffer, den Reisesack und seinen Toilettenbeutel. Kaum hatte der Arzt Isabelles Zimmer verlassen, als Hamilton anklopfte.
„Herein!“, sagte Isabelle. „Ich bin nicht so krank, wie du denkst!“
„Das freut mich zu hören“, sagte Hamilton beim Eintreten.
„Ich – ich dachte, es wäre der Papa“, sagte Isabelle verlegen.
„Natürlich. Aber ich kann Sie nicht verlassen, ohne Sie um Verzeihung zu bitten, weil ich Sie gestern beleidigt habe. Ich kann nicht so lange wegbleiben, ohne zu wissen, ob Sie mir vergeben.“
„Ich verzeihe Ihnen oder besser gesagt, es gibt gar nichts zu verzeihen“, antwortete sie. „Sie hatten jedenfalls ganz recht, dass Sie meine Beichte nicht hören wollten.“
Hamilton fand, dass sie sehr blass aussah und war alles andere als beruhigt.
„Ich kann Ihnen nicht glauben, dass Sie mir verzeihen, bevor Sie mir nicht alles gesagt haben, was ich gestern nicht hören wollte.“
„Wie anspruchsvoll Sie sind“, sagte Isabelle mit einem schwachen Lächeln. „Aber wenn ich Sie bitte, mein Zimmer zu verlassen, weil ich zu krank bin, um zu sprechen, dann werden Sie sicher ...“
„Natürlich, natürlich“, sagte Hamilton. „Nur eins müssen Sie mir sagen, nämlich, was Sie zu Raimund gesagt haben, dass er danach mit Selbstmord gedroht hat.“
„Fragen Sie mich nicht!“
„Aber es ist wirklich wichtig“, sagte er hartnäckig.
„Sie sagen, dass Sie gekommen sind, um mich um Verzeihung zu bitten, aber wie es scheint, sind Sie in Wirklichkeit gekommen, um zu kommandieren ...“
„Ich kommandiere nicht“, unterbrach Hamilton sie, „ich kommandiere nicht. Ich bitte Sie, ich flehe Sie an, mir zu verraten, was Sie ihm gesagt haben.“
„Ich erinnerte ihn daran, dass er mit meiner Freundin verlobt ist“, antwortete Isabelle zögernd.
„Und dann?“
„Und dann – sagte ich ihm – dass ich ihn nur als Cousin lieben kann.“
„Aber eine solche Antwort kann ihn doch kaum überrascht haben. Wenn er frei und unabhängig wäre, hätten Sie vielleicht etwas anderes gesagt. Jedenfalls erklärt das nicht die Dolch-Szene. Er hatte vielleicht Anlass, enttäuscht zu sein, aber nicht mehr. Haben Sie noch etwas zu ihm gesagt?“
Fast flüsternd antwortete sie: „Ich bewundere Philipp, aber ich liebe ihn nicht.“
„Haben Sie ihm das gesagt?“
„Sie quälen mich“, flüsterte sie.
„Verzeihen Sie mir, dass ich es tue“, antwortete Hamilton. „Hat er nicht vielleicht gefragt, ob Sie einen Anderen lieben?“
„Ja.“
„Und Sie haben es gestanden?“
„Ich gab es zu, um einer Torheit, um einer wilden Raserei, den verrücktesten Plänen, die man sich denken kann, ein Ende zu machen.“
„Und Sie nannten den Namen?“
„Nein!“
„Isabelle, sagen Sie mir, haben Sie – haben Sie Zedwitz gewählt?“
Isabelle wandte sich ab und antwortete nicht.
„Ich verstehe Ihr Schweigen, Sie haben gut – Sie haben wohl überlegt gewählt“, sagte Hamilton mit gepresster Stimme. „Er ist ganz sicher Ihrer Zuneigung würdig.“
Isabelle richtete sich halb im Bett auf und schien etwas sagen zu wollen, aber die Worte erstarben ihr auf den Lippen, als sie bemerkte, dass Sophie lautlos ins Zimmer getreten war. Mit schwacher Stimme bat sie ihre Schwester, die Fensterläden zu schließen. Jedes Zeichen innerer Erregung war verschwunden, als ihr Vater eintrat, sich neben ihr Bett setzte und feststellte, sie sehe eher aus wie eine Marmorstatue als wie ein menschliches Wesen.
Hamilton verabschiedete sich von Rosenberg und verließ eilig das Zimmer. Im Salon versicherte Doktor Berger Madame Rosenberg, dass Mademoiselle Isabelle in wenigen Tagen wieder wohlauf sein werde.
14
Hamilton musste sich von der allgemeinen Freude geschmeichelt fühlen, die seine Rückkehr bei allen Mitgliedern der Familie Rosenberg erregte. Die beiden kleineren Knaben erzählten ihm sofort, dass am folgenden Tag der Christbaum angezündet werde. Gustel ergänzte, dass er einen Wunschzettel geschrieben und unter sein Kopfkissen gelegt habe und dass das Christkindlein ihn heimlich nachts mitgenommen habe.
„Ich muss also doch
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