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Die Versuchung der Hoffnung

Die Versuchung der Hoffnung

Titel: Die Versuchung der Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Kaiser
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Stunde gefahren und der nächste fährt erst morgen früh wieder. Mit klappernden Zähnen schreibe ich Valerie eine SMS, vielleicht will sie morgen ja auch nach Hause und wir können zusammen mit ihrem Auto fahren. Heute hat sie einen Termin, aber ich weiß, dass sie das Wochenende frei hat.
    Ich friere immer noch. Nicht mehr nur aufgrund der eisigen Winterluft. Die Kälte, die ich empfinde, kommt irgendwo aus meinem Inneren.
    Ich bin so unendlich müde und erschöpft heute. Als ich mich die vielen Stufen bis zu meinem Zimmer hinaufschleppe, komme ich mir vor wie eine alte Frau. Wie eine uralte Frau. Eine Greisin, kurz bevor sie aus dem irdischen Dasein scheidet. Zutiefst ausgelaugt schließe ich die Tür zu meinem Zimmer auf. Kammer wäre vermutlich der bessere Begriff. Der Raum ist winzig. Mit Bett, Schreibtisch und Bücherregal, dem Schrank, dem Waschbecken und dem kleinen Nachttisch ist er so voll, dass man umgehend Atemnot und klaustrophobische Anfälle darin bekommen könnte. Zumindest, wenn man dazu neigen würde.
    Trotzdem ist es eines der beliebtesten Zimmer im ganzen Studentenwohnheim, weil es nämlich eines der ganz wenigen Einzelzimmer ist. Und ich habe es nur bekommen, weil diejenige, die an der Uni für die Verteilung der Zimmer zuständig ist, eine alte Schulfreundin meiner Mutter ist.
    Eigentlich würde ich jetzt gern duschen gehen, so heiß, dass ich es gerade so ertragen kann und so lang, dass alles an mir schrumpelig wird. Aber irgendwie fehlt mir die nötige Energie, um mich über den halben Flur bis in die Gemeinschaftsduschen zu schleppen.
    Also ziehe ich mich langsam aus, schlüpfe in meinen warmen Flanellschlafanzug mit den rosa Wölkchen drauf, den ich immer dann trage, wenn sich das Leben grausam und gemein anfühlt. Müde putze ich meine Zähne und lege mich ins Bett.
    Der Versuch, meine Augen zu schließen und an nichts zu denken, schlägt ziemlich schnell fehl. So erschöpft ich auch sein mag, ich kann einfach keine Ruhe finden. Außerdem fühle ich mich einsam. Ausnahmsweise bedaure ich einmal, keines der vielen Doppelzimmer im Wohnheim zu haben.
    Einen Moment lang fühle ich mich so einsam und verlassen, dass ich mit den Tränen kämpfen muss. Dann klingelt mein Handy. Die angezeigte Nummer kenne ich nicht. Ich will auch gar nicht drangehen, weil mir, trotz des Gefühls des Alleinseins, nicht danach ist, mit jemandem zu sprechen.
    Eher aus Reflex drücke ich trotzdem auf den Annehmen-Knopf und weil es viel zu unhöflich wäre, dann gleich wieder aufzulegen, halte ich das Telefon widerwillig an mein Ohr.
    „Hallo?“ Meine Stimme klingt kalt und abweisend.
    „Hi!“, kommt von der anderen Seite samtweich zurück und es dauert einen Moment, bis mein müder Verstand zugeordnet hat, wer dran ist.
    „Hey, John!“ Ohne dass ich das heute Abend für möglich gehalten hätte, macht sich plötzlich ein Lächeln auf meinem Gesicht breit. Dass er anrufen wollte, hatte ich völlig vergessen. Und dass ich mich jetzt darüber freue, erstaunt mich gerade selbst.
     
    +++
    „Hi“, wiederholt John noch einmal, was zugegebenermaßen nicht besonders einfallsreich ist. „Ich hatte doch versprochen, anzurufen.“ Das ist auch nicht wesentlich kreativer und vom anderen Ende der Leitung kommt nichts als erwartungsvolles Schweigen. Plötzlich nervös knetet John seinen rechten Oberarm mit der linken Hand. „Also, hier bin ich.“
    Mach nur so weiter, Junge, und sie ist gleich vor Langeweile eingeschlafen.
    Kurz schließt er die Augen und startet einen neuen Versuch. „Du klingst müde. Geht es dir gut? Was machen deine Drehtürverletzungen?“
    Das ist doch schon besser. Es ist aufmerksam und sie ist gezwungen zu antworten.
    „Ja, es geht mir gut. Danke!“ Ihre Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen. Dann macht sie wieder einen Moment Pause. Er hört sie zweimal tief einatmen, bevor sie fortfährt. „Nein, eigentlich geht es mir nicht gut, wenn ich ganz ehrlich sein soll. Ich hatte einen furchtbaren Arbeitstag und einen noch furchtbareren Anruf. Aber zumindest ernsthaft verletzt habe ich mich nicht.“
    „Oh, Verzeihung. Soll ich lieber wieder auflegen?“
    „Nein, bitte nicht. Ich dachte, Telefonieren wäre heute Abend gar nichts für mich, aber gerade tut es gut, deine Stimme zu hören.“
    John muss lächeln.
    Na, sieh mal einer an. Die Eisprinzessin hat also doch eine weiche Seite.
    „Magst du reden, über deinen Tag?“
    „Nein, ich glaube eher nicht.“
    Aus dem Hintergrund hört

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