Die Versuchung
Bodenspalten gesprungen und Hügelhänge hinaufgestiegen. Nicht mit dem Gedanken an sportliche Übung; so etwas war ihr völlig fremd gewesen. Es hatte ihr einfach Spaß gemacht. Und so war es noch heute. Deshalb hatte LuAnn zusätzlich zum Kraftraum diese natürlichen Trainingsmöglichkeiten auf ihrem großen Besitz angelegt. Sie hangelte sich noch einmal am Seil in die Höhe. Die Muskelstränge an ihren Armen und am Rücken waren hart wie Stahl.
Schließlich setzte sie sich schwer atmend wieder in den Sattel und trabte zurück zum Stall. Nach dem herrlichen Ritt durchs Gelände und den anstrengenden Kletterübungen am Seil war ihr leichter ums Herz, und ihre Stimmung hatte sich merklich aufgehellt.
In der großen Scheune neben dem Pferdestall spaltete einer der Arbeiter mit einem Vorschlaghammer und einem Keil Holz. Er war ein stämmiger Mann Anfang Dreißig. LuAnn warf ihm durch die offene Tür im Vorbeireiten einen flüchtigen Blick zu. Dann nahm sie Joy rasch Sattel und Zaumzeug ab, führte die Stute in den Stall und ging zur Scheune. Der Mann nickte ihr kurz zu und arbeitete weiter. Er wußte, daß sie in der Villa wohnte, aber mehr auch nicht.
LuAnn beobachtete ihn eine Zeitlang. Dann zog sie die Jacke aus, nahm einen zweiten Vorschlaghammer von der Wand, wog einen Keil in der Hand, um das Gewicht zu prüfen, und stellte einen Holzklotz auf den Hackstock. Sie drückte den Keil in die rauhe Borke, trat zurück und schwang den Hammer. Der Keil drang tief ins Holz, doch der Klotz wurde nicht vollends gespalten. Wieder schlug sie zu, und noch einmal, traf genau auf den Punkt. Der Holzklotz brach entzwei. Verblüfft schaute der Mann zu ihr hinüber. Dann zuckte er mit den Schultern und arbeitete weiter.
Beide schwangen die Hämmer, keine drei Meter voneinander entfernt. Der Mann spaltete die Klötze mit einem Schlag, LuAnn dagegen brauchte stets zwei, manchmal drei Schläge. Der Mann lächelte sie an. Schweiß stand ihm auf der Stirn. LuAnn beachtete ihn nicht, schlug weiter zu. Ihre Arme und Schultern arbeiteten so präzise zusammen, daß sie es binnen fünf Minuten schaffte, jeden Klotz mit einem Schlag zu spalten, und ehe der Mann es recht bemerkte, war sie schneller als er.
Der Mann verstärkte seine Bemühungen. Schweiß lief ihm übers Gesicht. Sein Grinsen war verschwunden, und er atmete keuchend vor Anstrengung. Zwanzig Minuten später war es der Mann, der zwei, drei Schläge brauchte, um einen Klotz zu spalten. Seine kräftigen Arme und Schultern ermüdeten immer rascher. Seine Brust hob und senkte sich schwer, die Knie wurden ihm weich. Mit wachsender Verwunderung sah er, wie LuAnn in gleichmäßigem Tempo weiterarbeitete. Ihre Schläge trafen den Keil immer noch mit gleicher Wucht, wenn nicht sogar kräftiger als zuvor. Der Klang von Metall auf Metall hallte lauter und lauter.
Schließlich ließ der Mann den Vorschlaghammer sinken und lehnte sich schwer atmend an die Wand. Seine Arme waren wie gelähmt. Das Hemd war trotz des kalten Wetters schweißgetränkt.
LuAnn hatte den Haufen Holzklötze inzwischen gespalten und nur ganz selten danebengeschlagen. Dann nahm sie sich auch noch den Rest der Klötze vor, die der erschöpfte Mann nicht mehr geschafft hatte. Nach getaner Arbeit wischte sie sich über die Stirn und hängte den Hammer wieder auf den Haken an der Wand. Erst dann blickte sie zu dem schwer atmenden Mann hinüber und schüttelte die Arme aus.
»Sie haben viel Kraft«, sagte LuAnn, zog die Jacke über und blickte dabei auf den großen Haufen Holzscheite, die der Mann gespalten hatte.
Verdutzt schaute er sie an. Dann lachte er auf. »Das dachte ich auch, ehe Sie gekommen sind. Jetzt hab’ ich das Gefühl, ich sollte vielleicht lieber in der Küche arbeiten.«
LuAnn lächelte und klopfte ihm auf die Schulter. Damals, in Georgia, hatte sie fast jeden Tag Holz gehackt, vom ersten Schultag an, bis sie sechzehn geworden war. Aber damals war es nicht um körperliche Ertüchtigung gegangen, so wie jetzt. Damals hatte sie Holz gehackt, um nicht zu frieren. »Machen Sie sich nichts daraus. Ich hatte sehr viel Übung.«
Als sie zurück zur Villa ging, ließ sie sich ein paar Minuten Zeit, um die Rückseite des Herrenhauses zu bewundern. Kauf und Renovierung der alten Villa war LuAnns bei weitem größte Extravaganz gewesen. Sie hatte das Anwesen aus zwei Gründen gekauft. Zum einen war sie das ständige Umherreisen leid und wollte sich irgendwo niederlassen. Sie wäre allerdings auch mit einem
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