Die Versuchung
weniger großartigen Heim zufrieden gewesen. Zum anderen – und das war viel wichtiger – hatte sie es für Lisa getan, wie die meisten Dinge während der letzten Jahre. Sie wollte ihrer Tochter ein richtiges Heim geben, ein Gefühl der Beständigkeit, einen Ort, an dem sie aufwachsen, heiraten und eigene Kinder haben konnte.
In den vergangenen zehn Jahren hatten sie in Hotels, gemieteten Villen und Chalets gewohnt, wobei LuAnn sich keineswegs über ein solches Luxusleben beschwerte, doch ein richtiges Zuhause hatten sie nirgends gehabt. Der winzige Wohnwagen mitten im Wald, in dem sie damals mit Duane gehaust hatte, besaß für LuAnn viel tiefere Wurzeln als die großartigste Nobelherberge in Europa.
Und nun besaßen sie diese Villa. LuAnn lächelte. Sie sah wunderschön aus und war riesengroß – und sicher. Als LuAnn an das letzte Wort dachte, zog sie die Jacke straffer um den Körper. Eine eiskalte Bö pfiff plötzlich vom Wald her.
Sicher? Als sie gestern abend ins Bett gingen, waren sie sicher gewesen – soweit jemand, der ein Leben wie sie führte, überhaupt sicher sein konnte. Das Gesicht des Mannes aus dem Honda tauchte unvermittelt vor ihr auf. LuAnn schloß ganz fest die Augen, bis das Bild verschwunden war. Ein anderes nahm seinen Platz ein. Der Mann blickte sie mit wechselnden Gefühlen an. Matthew Riggs hatte sein Leben für sie aufs Spiel gesetzt, und als Dank hatte sie ihn der Lüge bezichtigt – und hatte ihn mit dieser Reaktion nur noch mißtrauischer gemacht. LuAnn überlegte einen Moment; dann ging sie ins Haus.
Charlies Arbeitszimmer hätte direkt aus einem Londoner Männerclub stammen können. Eine prachtvolle Bar aus poliertem Walnußholz nahm eine Ecke des Raumes ein. Auf dem handgezimmerten Mahagonischreibtisch lagen ordentlich gestapelt Korrespondenz, Rechnungen und andere Papiere. LuAnn blätterte rasch seine Kartei durch, bis sie die Adresse fand, die sie gesucht hatte. Sie nahm die Karte heraus. Dann holte sie den Schlüssel, den Charlie ganz oben im Regal liegen hatte, und öffnete damit eine Schublade seines Schreibtisches. Sie zog den 38er Revolver heraus, lud ihn und nahm die Waffe mit nach oben. Das Gewicht des handlichen Revolvers gab ihr wieder ein bißchen Selbstvertrauen zurück. Sie duschte, zog einen schwarzen Rock und einen Pullover an, streifte einen langen Mantel darüber und ging zur Garage. Als sie die Privatstraße entlangfuhr, hielt sie die Waffe fest in der Hand und blickte ängstlich umher, da der Honda irgendwo lauern konnte.
Als sie die Hauptstraße erreichte, ohne daß ein anderer Wagen aufgetaucht war, stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus. Sie warf einen Blick auf die Adresse und die Telefonnummer auf der Visitenkarte und überlegte, ob sie vorher anrufen sollte. Ihre Hand schwebte zögernd über dem Autotelefon. Dann beschloß sie, einen Besuch ohne Voranmeldung zu riskieren. Vielleicht war es am besten, wenn er nicht zu Hause war.
LuAnn wußte nicht, ob es ihr helfen oder schaden würde, was sie nun beabsichtigte. Doch da sie es immer schon vorgezogen hatte, zu handeln statt untätig zu warten, tat sie es jetzt auch. Außerdem war es ihre Angelegenheit und ging niemanden etwas an. Irgendwann mußte sie sich mit der Sache befassen.
Irgendwann mußte sie sich mit allem befassen.
KAPITEL 26
Jackson war soeben von einer ausgedehnten Inlandreise zurückgekehrt und entledigte sich im Make-up-Zimmer seiner letzten Verkleidungen, als das Telefon läutete. Es war nicht sein Privattelefon, sondern die Geschäftsleitung, eine Kommunikationsverbindung, die nicht zurückverfolgt werden konnte. Der Apparat klingelte sehr selten. Jackson selbst benützte diesen Anschluß während des Tages häufig, um genaue Anweisungen an seine Mitarbeiter in aller Welt weiterzugeben, doch angerufen wurde er auf dieser Leitung nur sehr selten. Und genauso wollte er es. Er hatte zahllose andere Möglichkeiten, sich zu vergewissern, daß seine Anweisungen ausgeführt wurden. Er nahm den Hörer ab.
»Ja?«
»Ich glaube, wir haben ein Problem. Aber möglicherweise ist es blinder Alarm«, sagte die Stimme.
»Ich höre.« Jackson setzte sich und hob mit einer Schnur die Plastikmasse von der Nase. Dann entfernte er die Latexfetzen, die noch auf der Gesichtshaut klebten, indem er sie behutsam vom Rand her abzog.
»Wie Sie wissen, haben wir vor zwei Tagen die Rendite des letzten Quartals telegraphisch auf Catherine Savages Konto überwiesen. Auf die Banque Internacional
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