Die Versuchung
verlassen. Offensichtlich haben Sie keine Mühe gescheut, wieder in die USA kommen. Bleiben Sie, und genießen Sie eine Zeitlang den süßen Duft der Heimat. Sie werden mir sofort jeden weiteren Kontakt mit dem mysteriösen Fremden melden. Sie erreichen mich immer noch unter der Nummer, die ich Ihnen vor zehn Jahren gegeben habe. Ich werde mich regelmäßig bei Ihnen melden. Alle weiteren Anweisungen, die Sie noch von mir erhalten, werden Sie aufs Haar befolgen. Verstanden?«
Sie nickte schnell.
»Ich meine das bitterernst, LuAnn. Sollten Sie mir wieder nicht gehorchen, werde ich Sie töten. Und auf sehr langsame, unglaublich schmerzvolle Art und Weise.« Er studierte ihre Reaktion auf diese Worte. »Und jetzt gehen Sie ins Bad und sehen Sie zu, daß Sie sich wieder unter Kontrolle bekommen.«
Sie wandte sich um und wollte gehen.
»Ach, LuAnn.«
Sie schaute zurück.
»Denken Sie immer daran: Falls wir dieses Problem nicht lösen und ich das schwache Kettenglied eliminieren muß, gibt es keinen Grund – jedenfalls sehe ich keinen –, warum ich bei Ihnen aufhören sollte. Es gibt da ja noch jemanden.« Er schaute drohend zur Tür, die zum Korridor führte, wo Lisa keine sieben Meter entfernt schlief. Dann wandte er sich wieder an LuAnn. »Ich möchte meinen Geschäftspartnern so viele Anreize wie möglich bieten, stets nach Erfolg zu streben. Dann enttäuschen sie mich nicht so leicht.«
LuAnn stürmte ins Bad und schloß die Tür hinter sich ab. Sie suchte am kalten Marmor des Frisiertisches Halt, da sie am ganzen Körper unkontrolliert zitterte. Sie wickelte sich in ein großes Badetuch und ließ sich zu Boden sinken. Ihr angeborener Mut schwand vollkommen angesichts der messerscharfen Erkenntnis, daß Jackson es todernst meinte. LuAnn wußte nur zu gut, in welch schrecklicher Gefahr sie schwebte. Die Tatsache, daß Jackson auch vor Lisa nicht haltmachen würde, brachte sie vor Angst beinahe um den Verstand.
Dann ließ ein anderer Gedanke LuAnns Gesichtszüge zu einer Totenmaske erstarren. Ihre Augen blickten stumpf zur Tür, als ihr voller Entsetzen klar wurde, daß sich im Zimmer dahinter eine Person aufhielt, mit der sie vieles gemeinsam hatte.
Beide hatten Geheimnisse. Beide waren durch Gaunerei unglaublich reich geworden. Beide besaßen körperliche und geistige Fähigkeiten, die weit über das normale Maß hinausgingen. Und – vielleicht am bezeichnendsten – beide hatten jemanden getötet. LuAnns Tat war spontan gewesen, auf den bloßen Überlebenswillen zurückzuführen. Jacksons Tat dagegen war geplant, aber auch bei ihm war es irgendwie ums Überleben gegangen. Doch in beiden Fällen war das Ergebnis der Tod eines Menschen gewesen. Vielleicht war der trennende Abgrund zwischen ihr und Jackson gar nicht so groß, wie es oberflächlich betrachtet aussah.
Langsam erhob LuAnn sich vom Fußboden. Sollte Jackson sich je an Lisa vergreifen, würde er sterben. Oder sie selbst. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Sie ließ das Handtuch zu Boden gleiten und schloß die Tür auf. Zwischen ihr und Jackson schien eine unsichtbare Verbindung zu bestehen, die jeder logischen Erklärung widersprach. Selbst nach so langer Trennung war es, als wären ihre Synapsen auf einer gewissen, gleichsam seelischen Ebene verschweißt. Deshalb war LuAnn ganz sicher, was sie vorfinden würde, wenn sie zurück ins Schlafzimmer ging. Sie riß die Tür auf.
Nichts. Jackson war verschwunden.
LuAnn zog sich schnell etwas über und rannte zu Lisa ins Zimmer. Das ruhige, gleichmäßige Atmen des Mädchens verriet ihr, daß Lisa fest schlief. LuAnn beugte sich noch eine Zeitlang über die Tochter, weil sie Angst hatte, das Mädchen allein zu lassen. Sie wollte Lisa nicht wecken. Sie hätte die furchtbare Angst vor ihrer Tochter nicht verhehlen können. Schließlich vergewisserte LuAnn sich, daß die Fenster verschlossen waren, und verließ das Zimmer.
Als nächstes suchte sie Charlies Schlafzimmer auf und weckte ihn behutsam.
»Ich hatte gerade Besuch.«
»Was? Wer?«
»Wir hätten wissen müssen, daß er alles herausfindet«, sagte sie müde.
Als die Bedeutung ihrer Worte durch den Nebel der Schlaftrunkenheit gedrungen war, setzte Charlie sich ruckartig im Bett auf, wobei er um ein Haar die Lampe auf dem Nachttisch umgestoßen hätte. »Großer Gott. Er war hier? Jackson war hier?«
»Ich hatte gerade geduscht. Er hat in meinem Schlafzimmer auf mich gewartet. Ich glaube, ich hatte noch nie im Leben solche
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