Die Versuchung
die nur das Mädchen beantworten konnte. In der Dunkelheit, die Mutter und Tochter trennte, sehnten beide sich verzweifelt nach dem anderen.
Dann kam Jackson wieder ans Telefon und erteilte LuAnn genaue Instruktionen, was das Wo und Wann betraf. LuAnn hörte ihm genau zu, lauschte dabei aber wieder auf die Geräusche im Hintergrund. Zum Schluß sagte Jackson spöttisch: »Also, bis bald.«
LuAnn schaltete das Handy aus und stieg wieder in den Wagen. Sie machte einen so ruhigen Eindruck, daß die beiden Männer völlig verblüfft waren.
»Ich soll ihn morgen vormittag um zehn Uhr anrufen. Dann nennt er mir den Treffpunkt. Er läßt Lisa frei, wenn ich allein komme. Doch wenn er auch nur das Gefühl hat, daß jemand bei mir ist, bringt er Lisa um.«
»Also du im Austausch für Lisa«, sagte Riggs.
Sie schaute beide Männer an. »Genau.«
»LuAnn …«
»Genauso wird es gemacht!« erklärte sie mit Nachdruck.
»Und woher weißt du, daß er Lisa laufen läßt? Du kannst ihm nicht trauen«, gab Charlie zu bedenken.
»Doch, kann ich. Er will nur mich.«
»Es muß noch einen anderen Weg geben«, rief Riggs.
»Es gibt nur einen Weg, Matthew, und das weißt du genau.« Sie schaute ihn traurig an, ehe sie losfuhr.
Sie hatte noch einen letzten Trumpf im Ärmel. Doch sie würde Charlie und Riggs nicht einladen, bei diesem Spiel mitzumachen. Die zwei hatten bereits zu viel für sie geopfert. Jackson hätte die beiden Männer um ein Haar getötet, und LuAnn wollte ihm keine Chance geben, es noch einmal zu versuchen. Denn LuAnn wußte, wie es ausgehen würde, falls Jackson eine zweite Chance bekam. Jetzt lag alles bei ihr. Es lag allein bei ihr, Lisa zu retten, und in ihren Augen war das auch vollkommen richtig so. Fast ihr ganzes Leben lang hatte sie sich nur auf sich selbst verlassen müssen, und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, gefiel ihr das. Dieses Wissen gab ihr Zuversicht.
Und sie wußte noch etwas.
Sie wußte, wo Jackson und Lisa waren.
KAPITEL 55
Charlie starrte aufs Telefon und rieb sich die vor Müdigkeit brennenden Augen. Es waren mehrere Stunden vergangen, seit LuAnn ihm von den jüngsten Ereignissen berichtet hatte, doch er fand immer noch keinen Schlaf.
Jackson hieß also in Wirklichkeit Peter Crane. Diese Information nützte Charlie zwar nichts, würde den Behörden aber ungemein helfen, den Kerl aufzuspüren. Allerdings war zu bedenken, über welche Fähigkeiten Jackson verfügte; dieser unberechenbare Irre würde fuchsteufelswild reagieren, wenn er erfuhr, daß seine Identität bekannt war. Und Charlie wollte nicht, daß jemand, den er liebte, in der Nähe dieses Mannes war, sobald das geschah.
Charlie erhob sich von der Couch. Seine Knie schmerzten mehr als sonst. Die langen Fahrten setzten ihm ziemlich zu. Er freute sich riesig, LuAnn wiederzusehen. Und auch Riggs. Der Mann hatte LuAnn sehr geholfen, und er schien tatsächlich etwas für sie übrig zu haben – und sie für ihn. Allerdings würde es an ein Wunder grenzen, wenn Riggs diese Sache zu einem erfolgreichen Ende brachte.
Charlie ging ins Schlafzimmer und schaute nach Lisa. Sie schlief tief und fest. Er betrachtete das fein geschnittene Gesicht des Mädchens. Sie hatte viel von ihrer Mutter. Auch Lisa würde zu einer großen, schlanken Frau heranwachsen. Wo sind die letzten Jahre geblieben, fragte sich Charlie. Und wo werden wir alle nächste Woche sein? Wo werde ich sein?
Nachdem Riggs nun in LuAnns Leben getreten war, wurde der gute alte Charlie vielleicht schon bald nicht mehr gebraucht. Er zweifelte nicht daran, daß LuAnn ihn finanziell gut versorgen würde – aber alles würde anders für ihn werden. Ach, zum Teufel! Die letzten zehn Jahre mit ihr und Lisa waren wunderschön gewesen. Weit mehr, als er verdient hatte.
Er erschrak, als das Telefon klingelte. Er schaute auf die Uhr. Fast zwei Uhr morgens. Er nahm den Hörer ab.
»Charlie?«
Im ersten Moment erkannte Charlie die Stimme nicht. »Wer sind Sie?«
»Matt Riggs.«
»Riggs? Wo ist LuAnn? Ist alles in Ordnung?«
»Es geht ihr blendend. Man hat Jackson festgenommen. Sie haben den Mistkerl endlich erwischt!« Unverhohlene Freude klang aus diesen Worten.
»Halleluja! Gott sei Dank! Wo?«
»In Charlottesville. Die FBI -Leute hatten am Flughafen Posten bezogen, und Jackson ist ihnen mitsamt seinem Bruder direkt in die Arme gelaufen. Ich schätze, er war gekommen, um sich an LuAnn zu rächen.«
»Jackson hat einen Bruder?«
»Ja. Er heißt Roger. Das FBI weiß
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