Die Versuchung
glaubte, einen Schlaganfall erlitten zu haben. Er konnte sich nicht rühren; seine Gliedmaßen waren völlig taub und gefühllos. Nur sein Blick war ungetrübt. Nun aber wünschte er sich, die Pfeile hätten ihn auch geblendet. Entsetzt sah er, wie Jackson methodisch die Spritze inspizierte.
»Es ist in der Hauptsache eine harmlose Salzlösung«, erklärte Jackson, als spräche er zu einer Schulklasse im Chemieunterricht. »In der Hauptsache deshalb, weil ein zusätzlicher Wirkstoff unter bestimmten Umständen durchaus tödlich sein kann.« Er lächelte auf Romanello hinunter und legte eine Pause ein, als dächte er über die Tragweite seiner Worte nach. »Diese Lösung enthält Prostaglandin, eine Substanz, die der Körper auf natürliche Weise produziert«, fuhr er fort. »Normale Dosen werden in Mikrogramm gemessen. Ich aber werde Ihnen eine Dosis spritzen, die mehrere tausendmal stärker ist, so daß sie in Milligramm gemessen wird. Wenn diese Substanz Ihr Herz erreicht, bewirkt sie, daß die koronaren Arterien sich ganz plötzlich zusammenziehen. Die Ärzte bezeichnen so etwas in der Fachsprache als myokardialen Infarkt oder auch koronare Okklusion, gemeinhin bekannt als Herzinfarkt der übelsten und schmerzhaftesten Sorte. Ehrlich gesagt, habe ich noch nie die Wirkung des elektrischen Schlags der Betäubungspistole mit dieser Tötungsmethode kombiniert. Es dürfte interessant werden, den Vorgang zu beobachten.« Jackson zeigte nicht mehr Gefühl, als beim Sezieren eines Frosches in einer Biologiestunde. »Da Prostaglandin, wie ich bereits sagte, eine natürliche Körpersubstanz ist, wird es auch auf natürliche Weise abgebaut. Das bedeutet, daß selbst ein mißtrauischer Gerichtsmediziner keine verdächtig hohen Dosen dieser Substanz im Körper entdecken kann. Zur Zeit arbeite ich an einem enzymhaltigen Gift, welches in einer speziell beschichteten Kapsel verabreicht werden kann. Bestimmte Bestandteile des Blutes lösen die Schutzschicht sehr schnell auf. Dennoch ist ausreichend Zeit, daß das Gift zuvor seine Aufgabe erfüllen kann. Sobald die Schutzschicht der Kapsel verschwunden ist, tritt eine sofortige chemische Reaktion der Enzyme und der Giftmischung ein, wobei das Gift aufgelöst wird, um es laienhaft auszudrücken. Beim Beseitigen von Ölflecken benutzt man ein ähnliches Verfahren. Es hinterläßt absolut keine Spuren. Eigentlich wollte ich diese neue Methode heute bei Ihnen anwenden, aber sie ist noch nicht ganz ausgereift, und ich hasse es, solche Dinge zu überstürzen. In der Chemie sind Geduld und Präzision unabdingbar. Deshalb habe ich auf das alte, verläßliche Prostaglandin zurückgegriffen.«
Jackson hielt die Nadel dicht an Romanellos Hals, um die beste Einstichstelle zu suchen. »Man wird Sie hier finden, ein junger kräftiger Mann, gefällt in der Blüte seiner Jahre durch einen bedauerlichen Herzinfarkt. Wieder ein Fall für die Statistik der Gesundheitsdebatte, die zur Zeit geführt wird.«
Romanellos Augen drohten aus dem Kopf herauszuplatzen, während er all seine Willenskraft aufbot, um sich aus dem Griff der Betäubung zu befreien, die Jackson ihm mit den Pfeilen beigebracht hatte. Aufgrund der Kraftanstrengung traten die Venen am Hals dick wie Stricke hervor. Jackson dankte Romanello im stillen dafür, daß er ihm die Arbeit so erleichterte, ehe er die Nadel in die Halsschlagader stach und den Inhalt der Spritze in Romanellos Blutkreislauf drückte. Jackson lächelte und tätschelte den Kopf seines Opfers, während dessen Pupillen wie ein Metronom hin- und herschossen.
Dann entnahm Jackson seiner Aktentasche eine Rasierklinge. »Einem scharfäugigen Pathologen entgeht diese Einstichstelle vielleicht nicht, deshalb müssen wir etwas dagegen tun.« Er ritzte Romanellos Hals an der Einstichstelle. Ein Blutstropfen benetzte die Haut. Jackson verstaute die Rasierklinge wieder in der Tasche, holte ein Pflaster heraus und drückte es auf die frische Schnittwunde. Dann lehnte er sich zurück, um seine saubere Arbeit zu betrachten. Dabei lächelte er.
»Es tut mir leid, daß es dazu kommen mußte, vor allem, da mir Ihre Dienste in Zukunft möglicherweise von Nutzen gewesen wären.« Jackson hob Romanellos schlaffe rechte Hand und machte das Kreuzzeichen über der Brust des hilflosen Mannes. »Ich weiß, daß Sie als Katholik aufgewachsen sind, Mr. Romanello«, sagte er ernst. »Obwohl Sie offensichtlich von der kirchlichen Lehre abgewichen sind. Insofern wäre die letzte Ölung durch
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