Die versunkene Welt
Gib uns den Weg frei!«
»Nein!« knurrte Mythor.
Ertach schien nicht fassen zu können, daß man ihm widersprach.
»Wenn ihr Opfer für eure gierige Göttin braucht«, rief der Sohn des Kometen, »so kommt und holt sie euch über unsere Leichen! Und ich schwöre dir bei euren und unseren Göttern, daß ihr mehr Krieger aufbieten müßt, als dieser Pferch aufzunehmen vermag!«
Ertach stand wie erstarrt. Seine und Mythors Blicke trafen sich. Für lange Momente wagte niemand zu atmen.
»Ihr wollt es so!« schrie der Tritone dann. Mit einer Bewegung, die seine ganze, ungestüme Kraft verriet, drehte er sich zu den inzwischen mehr als zwanzig Tritonen-Kriegern um und schrie:
»Greift sie euch! Die Anemona wird ihre Opfer bekommen!«
*
Die Tritonen stoben auseinander. Mit einer Schnelligkeit, die Mythor im Wasser lebenden Wesen kaum zugetraut hätte, versuchten sie, die Menschen in die Zange zu nehmen. Ganz kurz sah Mythor hinter der Steintür eine riesige Luftblase schimmern, durch die die Gefangenen abtransportiert werden sollten.
»Zum Ausgang!« schrie er Scida, Kalisse und Gerrek zu. »Kämpft den Weg zum Schacht frei! Und nehmt die Gefangenen mit!«
Er konnte sich nicht weiter um sie kümmern. Ertach war vor ihm und schwang das Sägezahnschwert mit beiden Händen. Den Dreizack hatte er fortgeworfen. Die anderen Tritonen, die von den Seiten her auf Mythor eindrangen, blieben stehen, als sie sahen, daß ihr Anführer den Aufsässigen für sich allein haben wollte.
Mythor parierte den ersten Hieb mit der flachen Klinge. Wild und kraftvoll waren alle Bewegungen Ertachs. Mächtige Muskeln spannten sich über all seinen Gliedmaßen. Mit lautem Gebrüll stieß er erneut vor, und diesmal durchtrennte Alton mühelos sein Schwert knapp über dem Heft.
Fassungslos starrte der Tritone auf den Stumpf in seinen Händen. Dann schrie er wieder, warf das wertlos gewordene Stück fort und stürzte sich mit bloßen Händen auf Mythor.
Nur knapp konnte dieser ihm ausweichen und ihn ins Leere laufen lassen. Wütend schrie Ertach auf, wirbelte herum und fing den Dreizack auf, den ihm ein Tritone zuwarf.
Einander belauernd, darum bemüht, jede Bewegung des anderen schon im Ansatz zu erkennen, umschlichen sich die beiden Gegner.
Am Ausgang zum Schacht wurde heftig gekämpft. Eine Flammenlohe schlug weit ins Gewölbe hinein und ließ die Meeresbewohner in panischer Angst zurückweichen.
»Ihr kommt nicht hier heraus!« zischte Ertach. »Keiner verließ Pelleas-Verran je lebend!«
»Einmal ist immer das erstemal!« gab Mythor zurück. Ertach wollte ihn ablenken, durch seine Worte mürbe machen.
»Ihr seid gute Kämpfer! Noch könntet ihr es euch überlegen und euch mit uns gegen die Ungeheuer zusammentun.«
Ertach sprach weiter, als er geduckt, alle Muskeln angespannt, Mythor umschlich. Sein Echsengesicht geriet zur Grimasse. Mythor antwortete nicht, studierte aufmerksam jede Bewegung des Gegners – und war gewappnet, als der Dreizack vorstieß.
Er sprang zur Seite und schlug gleichzeitig Alton zwischen zwei der drei tödlichen Spitzen aus Fischknochen. Mit einer schnellen Drehung entwand er die Waffe den Händen des Meerbewohners. Und bevor Ertach diesmal zurückweichen konnte, war er in dessen Rücken und hatte die Klinge an seinen Hals gebracht. Mit der Linken umklammerte er Ertachs Hand.
»So, Freund!« knurrte er. »Jetzt mach noch eine Bewegung, und sei versichert, es war deine letzte! Befiehl deinen Kriegern, daß sie die Waffen sinken lassen!«
»Du kommst nicht lebend…!«
»Dann stirbst du mit mir! Tu, was ich dir sage!«
Mythor wußte, welch gewagtes Spiel er spielte. Alles hing davon ab, ob Ertachs Besessenheit, seine Furcht vor der Anemona und der Meermutter, größer waren als sein eigener Wille zum Leben.
Am Gang war kein Kampfeslärm mehr zu hören. Alle Augen richteten sich auf Mythor und den Tritonen in seiner Gewalt.
»Geht zurück!« rief Ertach endlich. »Zurück zur Schleuse! Laßt ab von den Todgeweihten!«
»Das war sehr vernünftig«, sagte Mythor. Er hob den Kopf, so daß er sehen konnte, wie die Meeresbewohner von Scida, Kalisse, Gerrek und den Gefangenen abließen. Nur widerwillig befolgten sie den Befehl und sammelten sich vor der Luftblase.
Mit einem heftigen Stoß beförderte Mythor Ertach vor ihre Füße, wirbelte herum und erreichte die anderen.
Niemand stellte lange Fragen. Jeder wußte, was die Stunde geschlagen hatte. Die Gefährten trieben die vor Angst wie gelähmten
Weitere Kostenlose Bücher