Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)
im selben Augenblick wünschte ich, er würde sich näher zu mir beugen und mich auf den Mund küssen. Bei dieser Vorstellung spürte ich mich erröten.
Janyn lächelte und sah für einen Moment richtig schelmisch aus, was gut zu seinen Zügen passte. »Ich glaube, Ihr habt mir das Herz gestohlen, Mistress Alice. Bitte geht behutsam damit um.« Er küsste meine Hände, eine nach der anderen, dann verbeugte er sich und ließ mich los.
Ich war erschrocken und erregt. Nachdem unsere Gäste gegangen waren, fragte Vater, wie mir Master Janyn gefallen hat.
Ich zögerte. »Er ist so viel reifer als ich, so stattlich und weltgewandt«, begann ich.
»Ah, also hat er dir nicht gefallen.« Er nickte mit dem Kopf in Richtung des Geräuschs von Mutters Schritten oben
in der Kammer. »Hat sie dich gegen ihn aufgehetzt? Hat sie vor seinem Kommen etwas zu dir gesagt?«
»Aber er gefällt mir doch«, widersprach ich.
Er schien nicht mehr zuzuhören. In seinem Kopf setzte er bereits den Streit mit Mutter fort. Ich war erschöpft von der Anstrengung, völlig unvorbereitet die Gastgeberin zu spielen, und kam mir vor wie ein Bauer in einer Schachpartie, unbedeutend, unkompliziert zu bewegen und leicht zu verlieren.
»Sie hat nach der Kirche nicht mehr mit mir gesprochen«, fügte ich hinzu, murmelte irgendeine Entschuldigung und floh auf der Suche nach Nan in Richtung Küche.
An diesem Abend lag ich im Bett und verglich die Fantasien, in denen ich mir eine Nacht zuvor noch meinen Besuch der Messe ausgemalt hatte, mit den tatsächlichen Geschehnissen. Entmutigt dachte ich, gerade einen echten Vorgeschmack auf das Erwachsenendasein bekommen zu haben, und ich fand den Geschmack nicht süß wie erwartet, sondern erschreckend sauer.
Tagelang herrschte eine gedrückte Stimmung im Haus. Mutter blieb in ihrer Kammer. Vater und mein Bruder John vermieden jede Erwähnung der sonntäglichen Ereignisse, und am nächsten Sonntag erschien Master Janyn nicht in St. Antonin. Erneut sprachen uns nach der Messe einige Familien mit ledigen Söhnen und ein paar Witwer an, um sich vorzustellen. Vater war freundlich, Mutter brüsk, und sie luden an diesem Tag niemanden zum Essen ein.
Die nächsten Wochen über verhielt Mutter sich meist so, als würde ich nicht länger existieren, und legte damit einen mächtigen Bann über mich. Noch schlimmer war, dass ihre Ankündigung sich bewahrheitete und ich tatsächlich von der Schule genommen wurde, was mich einer wichtigen anregenden
Beschäftigung beraubte. Ich verlor meinen Appetit und blieb immer häufiger für mich allein. Nirgends hatte ich mehr meinen Platz. Kein Kind mehr, aber auch noch keine angehende Braut, war ich irgendwo in der Leere dazwischen gefangen.
Endlich an einem Frühlingstag bat mich Vater, nach dem Abendessen zu ihm in den Gewölbekeller zu kommen. Er sagte, er würde ein paar wichtige Kunden erwarten und ich solle mich schön herausputzen. Ich fühlte mich, als hätte jemand eine Kerze in meinem Innern entzündet. Wärme und Licht erfüllten mich und lockten mich ins Leben zurück. Ich hatte gerade im Küchengarten Unkraut gejätet, und plötzlich wurde mir bewusst, wie verschmutzt meine Hände und sogar mein Gesicht waren. Ich bat meinen jüngeren Bruder Will, sich eine Weile um Mary zu kümmern, damit Nan mir helfen konnte, mich zu waschen und mir das azurblaue Kleid und den grünen Surcot anzuziehen.
Meine alte Kindermagd schüttelte missmutig den Kopf darüber, wie locker das Kleid inzwischen saß und wie blass ich trotz des sonnigen Wetters, das wir hatten, noch immer war.
»Ihr seid viel zu viel in der Kirche, Kindchen.«
»Oder ich war gerade lange genug dort, Nan, denn meine Gebete sind erhört worden. Vater hat mir vergeben.«
»Wofür?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Das ist nicht länger wichtig.«
Ihr Gemurmel und ihre abrupten Bewegungen bedeuteten mir jedoch, dass es ihr weiterhin wichtig war, sogar sehr wichtig. Sie ärgerte sich schon eine ganze Weile im Stillen darüber, wie meine Eltern mich behandelten.
Es war kühl im gemauerten Untergeschoss, und ich wärmte meine gewölbten Hände über einer Öllampe, während ich
auf Vater wartete, der seinem Ladendiener noch erklärte, wie er das Tuch und die Schmuckwaren, die er den Kunden zu zeigen beabsichtigte, auslegen soll. Ich hatte angeboten, Wein und einen kleinen Imbiss für die Gäste bereitzustellen, aber der Ladendiener hatte mir erklärt, dass er sich wie gewöhnlich darum kümmern werde.
»Du
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