Die Verwandlung - Blutsbande 1
trotzdem hatte es noch etwas mit unserer Lebensenergie zu tun, wenn es auch im Körper selbst sinnlos geworden war. Früher glaubten die Menschen, im Herzen säße die Seele einer Person. Vielleicht hatten sie recht. Die Tatsache, dass ich sterben würde, wenn mein menschliches Herz zerstört wurde, bestätigte ihre Annahme. Ich schwor mir, das herauszufinden – das heißt, sollte ich noch so lange am Leben sein.
Einige Male ertappte ich mich dabei, dass ich in die Richtung von Cyrus’ Haus ging, aber kurz davor drehte ich immer wieder um. Sobald die Sonne aufzugehen begann, kehrte ich zur Wohnung zurück. Meine Beine waren schon seit Stunden müde, aber meine Wut trieb mich immer weiter durch die Straßen.
Nathan war mir nicht nachgegangen, um mich zu suchen. Ziggys Lieferwagen stand immer noch am Bordstein und rostete vor sich hin. Ich sah Licht im Wohnzimmer.
Max saß auf dem Sofa und schaute fern. Gelangweilt schaltete er zwischen verschiedenen Kanälen hin und her. Er hob seine Hand, um mich halbherzig zu begrüßen.
Nathan war nicht da. „Wo ist er?“
Max deutete in den Flur. „Er war hier, seitdem du weggegangen bist. Wenigstens hat er aufgehört, Dark Side of the Moon zu hören. Ich war schon kurz davor, hineinzugehen und diesen verdammten CD-Spieler aus dem Fenster zu werfen.“
Wütend ging ich in den Flur, aber Max’ letzte Bemerkung ließ mich innehalten.
„Wir gehen morgen Abend hin. Nathan wollte nicht, dass ich es dir sage, aber ich dachte, du solltest es erfahren. Ich meine, er ist dein Schöpfer.“
Also hatte Nathan Max nicht erzählt, was in der Nacht geschehen war. Dafür hatte er wahrscheinlich seine Gründe. Vielleicht war Max so fanatisch, was die Bewegung anging, wie es Nathan einmal gewesen war.
Ich drehte mich um. „Warum wollte er nicht, dass ich es erfahre?“
„Vielleicht, weil er verrückt nach dir ist und nicht will, dass dir etwas zustößt.“ Max zuckte mit den Schultern. „Oder vielleicht glaubt er, dass du alles verderben würdest.“
Ich lachte. „Ich wette, es ist das Letztere.“
Max legte die Fernbedienung auf den Tisch und klopfte neben sich auf die Couch.
„Komm und setz dich. Lass uns ein wenig plaudern.“
Ich wollte wirklich nach nebenan gehen und Nathan meine Meinung sagen, aber die Art und Weise, wie Max mich ansah, erweckte in mir das Gefühl, das sei keine so gute Idee. Ich setzte mich zu ihm. Als er seinen Arm mit einer freundlichen Geste um meine Schultern legte, sträubte ich mich.
„Ich werde nicht frech“, versicherte er mir. „Ich kann nur klarer denken, wenn ich eine schöne Frau in meinem Arm halte.“
Ich verdrehte die Augen. „Dann denk schnell, bevor ich deinen Arm wegnehme.“
„Okay, okay“, er lachte in sich hinein. „Lass mich dir nur ganz kurz einen Rat geben: Ich kenne Nathan nun schon eine ganze Weile. Er hat seit langer Zeit keine Freundin mehr gehabt, seit 1984, glaube ich. Und sie war nicht wirklich das, was man eine aufregende Frau nennen würde. Ich glaube, sie war Wirtschaftsprüferin.
Die Sache ist einfach die, dass Nathan niemanden an sich heranlässt. Das heißt, wenn er sich überhaupt mit jemandem abgibt. In seiner Vergangenheit sind ein paar sehr gruselige Dinge gelaufen. Ich will gar nicht so tun, als kenne ich die ganze Geschichte. Aber er vermeidet es, sich an jemanden zu gewöhnen. Also, wenn du da jetzt reingehen und ihm eine Lehre erteilen willst, dann denk daran, dass du ihn möglicherweise mehr verletzt, als du möchtest. Denn dann beweist du ihm wieder mal, dass etwas an der ‚Liebe tut weh‘-Theorie dran ist.“
Ich schluckte schwer und erinnerte mich daran, was Cyrus in seiner Wut über Nathan gesagt hatte. „Max, stimmt es wirklich, dass Nathan seine Frau getötet hat?“
Anscheinend sollte er dieses Geheimnis nicht preisgeben, denn er schwieg und kaute eine Weile an seiner Unterlippe.
„Lüg mich nicht an, Max. Ich finde es heraus, wenn du nicht die Wahrheit sagst.“ Ich nahm seinen Arm von meinen Schultern. „Hat Nathan seine Frau umgebracht?“
Max seufzte. „Ja, wenigstens ist es das, was sich die Leute erzählen.“
„Aber es war nicht seine Schuld“, sagte ich und schüttelte meinen Kopf. „Ich meine, er hat es nicht mit Absicht getan, oder?“
„Ich wünschte, dass es so wäre, Mädchen.“ Max’ Gesichtsausdruck war zum Steinerweichen. „Aber damals war er ein anderer Mensch.“
Ich entschuldigte mich und ging in das Zimmer, das ich seit Kurzem für mein eigenes
Weitere Kostenlose Bücher