Die Verwandlung - Blutsbande 1
und drehte mir seinen Rücken zu.
Das Blut war warm, so wie Dahlias, aber es war dickflüssiger, als habe es schon zu gerinnen begonnen. Als meine Zunge es berührte, hinterließ es einen leichten Geschmack nach Münzen. Es war, als würde ich Götterspeise mit Kupfergeschmack trinken, die noch nicht ganz fest geworden war. Es widerte mich an, aber anstatt aufzugeben, würgte ich den ersten Schluck hinunter. Ich war gierig nach mehr. Wenn ich von dem Hals eines Menschen getrunken hätte, hätte ich wahrscheinlich meine gute Erziehung vergessen, aber hier war das etwas anderes. Ich saß in Nathans Wohnzimmer und nippte an einem Becher wie ein zivilisierter Vampir.
Ich trank das Blut sehr bewusst und beobachtete ihn dabei. Bisher hatte ich die Erfahrung gemacht, dass Menschen zu Fremden nicht nett waren. An der Uni hatte sich jeder nur um sich selbst gekümmert. Darüber hinaus hatten sich einige Studenten von uns besondere Mühe gegeben, die „Konkurrenz“ in den Schatten zu stellen. Ich hatte mich schon so sehr an die Fressen-oder-gefressen-werden-Haltung gewöhnt, dass ich dieses Verhalten von allen anderen auch erwartete. Aber Nathan hatte mir zu meiner Überraschung von Anfang an geholfen und tat es jetzt noch, obwohl ich nur noch eine Woche Zeit hatte, mir zu überlegen, ob ich wirklich seinem Vampir-Kult beitreten wollte. Wenn nicht, würde er mich töten müssen.
Es schien mir nicht rechtens, dass ein so attraktiver Mann sich so sklavisch an Regeln halten sollte. In den kurzen Telefonaten, die wir in den letzten Wochen geführt hatten, hatte er nur die nötigsten Dinge über sich selbst preisgegeben, ansonsten hatte er mir nicht viel Gelegenheit geboten, ihn nach seinem Leben zu fragen. Wenn ich dem Glauben schenkte, was er mir erzählt hatte, dann hatte ich noch ein paar wichtige Fragen.
Wenn nicht jetzt, wann dann?
„Wie alt bist du?“, fragte ich.
„Zweiunddreißig.“
„Ich meine, mit …“ Ich wusste nicht, wie ich es ausdrücken sollte.
„Ach, das“, sagte er und es hörte sich so an, als habe er nicht die Absicht, mir diese Information mitzuteilen. „Ich bin seit 1931 ein Vampir.“
Ich bemühte mich, meine Enttäuschung zu verbergen. Ich hätte gedacht, dass er Hunderte von Jahren alt sei, dass er mit Napoleon auf dem Schlachtfeld gestanden und mit Nostradamus die Geheimnisse des Kosmos diskutiert hätte, so wie die Vampire in den Kinofilmen.
„Das war das Jahr, in dem „The Star-Spangled Banner“ zur Nationalhymne erklärt wurde, wusstest du das?“, erzählte ich ihm.
„Das habe ich nicht gewusst. Damals war ich kein Amerikaner.“ Er sah kurz über seine Schulter zu mir herüber. Sofort verbarg ich mein Gesicht.
„Es ist schon okay“, versicherte er mir. „Du siehst wieder normal aus.“
Ich lehnte mich über den Teil des Couchtischs, wo nichts herumlag, und prüfte mein Spiegelbild in der Glasplatte.
„Es ist der Hunger“, sagte er und räumte ein wenig auf. „Je schlimmer dein Hunger ist, desto schlimmer siehst du aus. Dasselbe gilt für Wut, Schmerz und Furcht. Es ist sehr animalisch.“
Wie jemand nur so unsagbar arrogant über die Tatsache sprechen konnte, dass sich der eigene Kopf innerhalb von Sekunden in ein Monster verwandeln konnte wie durch einen Special-Effekt in einem Hollywoodfilm, blieb mir schleierhaft.
„Das Beängstigende ist, dass es mit dem Alter schlimmer wird. Einige der richtig alten Vampire bekommen sogar Hörner oder einen Pferdefuß. Aber man kann es mit Übung unter Kontrolle halten. Du musst dich nur auf dich selbst besinnen, deine eigene Mitte finden, ein bisschen wie dieser Esoterik-Humbug. Es ist wie Zen.“ Er nahm mir den leeren Becher aus der Hand und ging in die Küche.
Esoterik-Humbug? Und das aus dem Mund eines Typen, der einen Esoterik-Tante-Emma-Laden betreibt?
„Wie wäre es, wenn du mir erzählst, was heute Nacht geschehen ist?“, rief er herüber, während er den Becher in der Spüle abwusch.
Ich schüttelte mich. „Können wir nicht erst einmal darüber reden, wie das Wetter gestern war?“
„Nein.“
„Ach, eigentlich war gar nichts los“, begann ich und bemühte mich dabei, so entspannt wie möglich zu klingen.
„‚Gar nichts los‘ fügt anderen Menschen Stichwunden zu.“ Er kam ins Wohnzimmer zurück und setzte sich neben mich auf das Sofa. Sein Duft stieg mir in die Nase, was dazu führte, dass ich überlegte, ob ich mich an ihn lehnen und tief inhalieren sollte.
Ich sollte wirklich häufiger
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