Die Verwandlung - Blutsbande 1
nicht, wie lange ich dort zusammengekauert saß, bevor es anfing zu schneien. Vom Himmel fielen große flauschige Flocken wie in einem kitschigen Weihnachtsfilm. Sie landeten sanft auf dem Boden, ich streckte meine Hand aus und sah zu, wie sie sich dort sammelten, denn aufgrund meiner niedrigen Körpertemperatur schmolzen sie nicht. Ich fing an, sie zu zählen, aber dann kam ein Windstoß und blies sie fort. Ich gab mich damit zufrieden, die Schneewirbel und Verwehungen auf dem Bürgersteig zu betrachten. Meine Lider wurden schwer. Da ich mich nicht gegen den nahenden Schlaf wehren konnte und weil ich auch nicht wusste, warum ich das tun sollte, schloss ich meine Augen.
Eine bekannte Stimme weckte mich auf. Es war Nathan. Es dauerte einen Moment, bis mir klar wurde, dass er mich an den Schultern packte. Er schüttelte mich wie verrückt. Er schrie mich an und klatsche vor meinem Gesicht in die Hände, aber ich war zu erschöpft, um zu reagieren.
Mein Kopf kippte zur Seite. Auf dem Bürgersteig lag eine braune Einkaufstüte, als habe sie dort jemand vergessen. Ihr Inhalt kullerte in den Schnee.
„Dein Rasierschaum … fällt raus“, murmelte ich und versuchte, die Bahn der Dose auf dem verschneiten Pflaster zu verfolgen.
„Mach dir darüber keine Sorgen.“ Er drehte meinen Kopf, sodass ich ihn anschauen musste. „Was ist los?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete ich, während ich versuchte, meine Augen offen zu halten. Ich wollte nichts anderes als schlafen.
Nathan schüttelte mich wieder, als mir die Augen zufielen.
„Was?“, jaulte ich auf. Dann versuchte ich seine Hände wegzustoßen.
Er fluchte und fasste mich fester an. „Wach auf!“, rief er. Als ich nicht reagierte, schlug er mich ins Gesicht.
Geschockt öffnete ich meine Augen und stotterte: „Was denn? Lass mich einfach schlafen!“
„Das geht nicht! Du hast viel Blut verloren. Wenn du jetzt einschläfst, dann wirst du sterben.“
Dann erst spürte ich den Schmerz, ein Ziehen in meinem Bauch. Es fühlte sich an, als hätte ich Glas gegessen. Ich griff nach seinem Arm und wand mich vor Schmerz. Schnell zog er seinen Mantel aus und wickelte mich darin ein. „Ich muss dich nach oben schaffen“, murmelte er. Er hob mich auf, trug mich durch die Tür und die Treppe hinauf in seine Wohnung.
ENTSCHEIDUNGEN, ENTSCHEIDUNGEN
Als ich aufwachte, summte jemand leise das Lied „Brain Damage“ von Pink Floyd. Ich riss die Augen auf.
Dem Durcheinander um mich herum zufolge befand ich mich in Nathans Wohnung, aber ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wie ich dorthin gekommen war. Mein Magen knurrte, und langsam kehrte die Erinnerung zurück: Ich war hungrig gewesen. Dann hatte ich nach Blut gesucht. Danach war ich Dahlia begegnet.
Doch dass mich jemand mit einem Messer verletzt hatte, daran konnte ich mich noch sehr gut erinnern. Ich nahm die Decke hoch, unter der ich lag. Meine Wunden waren sorgfältig verbunden. Blutflecken zierten die Verbände, aber ich konnte mich zurückhalten und fummelte nicht daran herum. Es brauchte nicht viel, um eine frische Wunde wieder zu öffnen, und ich wollte nicht noch mehr Blut verlieren.
Ich hob die Hände und betastete vorsichtig mein Gesicht. Es fühlte sich nicht nach der Monster-Visage an. Alles tat mir weh, aber ich richtete mich auf. Auf der Sofalehne lag mein zerrissenes Sweatshirt, das ordentlich zusammengelegt war. Ich zog es mir schnell über den Kopf und versuchte nicht daran zu denken, dass mich Nathan in meinem ausgeleierten BH gesehen hatte, der eigentlich in die Wäsche musste.
„Geht es dir besser?“, fragte er mich, als er ins Wohnzimmer kam.
Ich roch das Blut in dem Becher, den er in der Hand hatte. Meine Kehle war trocken und mein Magen versuchte schon, sich vor Hunger selbst zu verdauen, aber ich musste mich abwenden.
„Trink“, forderte er mich auf und hielt mir den Becher hin. Er musste gespürt haben, warum ich zögerte. „Mach dir darüber keine Sorgen, ich habe schon einige Vampire in meinem Leben gesehen.“
„Aber nicht so einen wie mich.“
„Genauso wie dich.“ Er kniete vor mir, und ich verbarg mein Gesicht in den Händen. Meine Knochen taten unter meinen Fingern weh, als er mir den Becher gegen die Handrücken drückte. „Du musst das hier trinken.“
Ich hörte die Bestimmtheit in seiner Stimme, außerdem wusste ich, dass er sowieso nicht nachgeben würde.
„Schau mich nicht an“, flüsterte ich.
„Okay.“ Er ging in die hinterste Ecke des Raumes
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