Die Verwandlung - Blutsbande 1
Papiere ordentliche Haufen. Allerdings nicht zu ordentlich, damit ich nicht wieder der Schnüffelei bezichtigt würde. Wenn ich daran dachte, was er mir eben im Laden gesagt hatte, fing mein Blut wieder an zu kochen. Also sammelte ich die herumstehenden Tassen und Teller ein und versenkte sie im Spülwasser. Ich hatte vor, abzuwaschen, aber sobald der erste Kaffeebecher auf das Wasser traf, verfärbte es sich rosa, und ich verlor die Lust am Abwaschen, da mir schlecht wurde.
Meine Putzwut ließ ich am Rest der Wohnung aus. In den letzten neun Tagen war ich obdachlos geworden, zum Vampir mutiert und bald würde ich auch arbeitslos sein. Wahrscheinlich reichte das Geld auf meinem Konto gerade für die Miete und das Nötigste für die nächsten Monate, aber schließlich war es egal, da ich ja nun sowieso keine Wohnung mehr hatte.
Zahlte die Bewegung für das freiwillige Aussterben von Vampiren ein monatliches Gehalt?
Nathan hatte mir Blut, ein Dach über dem Kopf und Schutz angeboten. Das Wenigste, was ich tun konnte, war, seine Wohnung aufzuräumen. Weil er sonst nämlich von mir nichts zu erwarten hat. Mein Verhalten unten im Laden mochte möglicherweise seine Erwartungen geschürt haben, aber die musste ich gleich im Keim ersticken.
Im Schlafzimmer zog ich die alte Bettwäsche ab und warf sie in die Ecke, wo er seine Schmutzwäsche aufzubewahren schien. Vampir oder nicht, der Mann konnte augenscheinlich keine Ordnung halten.
Mich überkam eine plötzliche Traurigkeit, als mir bewusst wurde, dass ich nicht länger ein Zuhause hatte, das ich sauber halten musste. Oder Kleidung. Oder wichtige Anschaffungen. Wie hatte mein Leben in so kurzer Zeit nur so kompliziert werden können? Wie sollte ich als Vampir überleben? Wie lange war es her, dass er seine Matratze umgedreht hatte?
Ich schaute auf das Goldfischglas auf dem Nachttischchen, als ich die schwere Matratze von den Sprungfedern wuchtete. Irgendwo hatte ich gelesen, dass sich ein Goldfisch nur drei Sekunden lang an das erinnern konnte, was geschehen war. Alle drei Sekunden musste dieser arme Goldfisch mit einer neuen und Angst einflößenden Realität umgehen lernen. Damit konnte ich mich absolut identifizieren.
Ich hob das Glas an und legte mein Gesicht an das kühle Glas. Ich zählte bis drei: „Überraschung!“
Ich seufzte, als ich das Glas wieder zurück auf seinen Platz stellte. Es schien nicht so, als habe das kleine Ding etwas davon bemerkt. Der Fisch schwamm weiter im Kreis, als sei nichts geschehen. Es dauerte noch weitere drei Sekunden, bis ich die Matratze vollständig umgedreht hatte und sie wieder auf ihrem Lattenrost lag. Schwitzend und hechelnd sah ich hinüber zum Glas. Keine Reaktion.
Fische verstanden es, zu überleben.
Ich öffnete seinen Kleiderschrank, um nachzusehen, ob dort saubere Bettwäsche lag, für den Fall, dass Nathan so etwas überhaupt besaß. An der Stange hingen verschiedene leere Bügel und einige Hemden, die so lange nicht getragen worden waren, dass Staub auf ihren Schultern lag. In einer Ecke lagen drei Tennisschuhe, die nicht zueinander gehörten, und etwas, das aussah wie eine tote Maus.
Ich fand die Bettwäsche auf dem obersten Regal und zog sie herunter. Etwas Schweres, Eckiges fiel mit ihr herab und landete auf meinem Fuß. Ich fluchte ein wenig und bückte mich, um nachzusehen, was es war. Es war ein kleiner Bilderrahmen, der für seine Größe ungewöhnlich schwer war. Das Foto darin war verblichen und hatte einen Gelbstich.
Eine hübsche junge Frau strahlte mich aus dem Bild an. Sie trug eine schlichte weiße Bluse und einen langen Schottenrock. Sie hielt einen Strauß wilder Blumen an sich gedrückt. Neben ihr stand ein junger Mann in einem schlichten Anzug. Das Paar hatte sich auf die Stufen einer kleinen ländlichen Kirche gestellt. Ich sah mir den Mann genau an. Er sah ihm verdammt ähnlich …
Ich drehte den Rahmen und nahm das Foto vorsichtig heraus. Auf der Rückseite standen zwar keine Namen, dafür aber ein Datum: 23. Juni 1924.
Ich starrte auf das Foto. Nathan, der damals erst zwanzig Jahre alt war, starrte zurück.
„Carrie? Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber du glaubst gar nicht, wie viel diese Frau von ihren Katzen erzählen kann.“
Ich schob das Foto zurück in den Rahmen, legte ihn wieder auf das oberste Bord und schlug die Schranktür zu.
„Wow, toll sieht’s hier aus“, rief Nathan aus dem Wohnzimmer. Seine Stimme klang wirklich erfreut. Er trat ins Schlafzimmer
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