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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Worten, ich möchte nur einen kurzen Blick auf sie werfen, um dann mit noch mehr Bussen zu meinem sargähnlichen Zimmer zurückzufahren. Es war die idiotischste Reise, die ich je unternommen hatte.
    Als ich ankam, sah ich aus wie ein Höhlenforscher, der geradewegs aus der Höhle kam. Das Haar klebte mir am Kopf wie eine Badekappe. In meinen Schuhen stand das Wasser, und meine Haut roch nach feuchter Erde. Ich trug einen langen grünen Mantel – Miss McRaes besten –, der mir bis zu den Füßen reichte. In der Tasche hatte ich ein Päckchen Konfetti mit der Aufschrift: »Originalkonfetti für den großen Tag«. Es war in High Wycombe hergestellt worden. Da ich mich nicht erinnern konnte, in meinem Lexikon der Erfindungen einen Eintrag über Konfetti gesehen zu haben, erfand ich jetzt einen, um mir die Zeit in dem langsamen Bus zu vertreiben: »Konfetti: Rinaldo Confetti, Italien, 1920.« Er war Schaffner auf dem Bahnhof von Neapel gewesen. All die kleinen runden, durch das Lochen der Fahrkarten entstandenen Papierblättchen fielen ihm vor die Füße, in allen Farben, federleicht. Er fand sie eigenartig schön und bückte sich, um eine Handvoll davon aufzuheben. Er war glücklich an diesem Tag, da er sich gerade mit Luminata, dem Mädchen seiner Träume, verlobt hatte. Und er nahm sich folgendes vor: Vonjetzt an bis zur Hochzeit werde ich an der Sperre auf einem Teppich stehen. Am Ende einer jeden Schicht werde ich die ausgestanzten Blättchen einsammeln, die dann sauber sind, nicht von den Stiefeln der Leute beschmutzt. Und am Hochzeitstag, wenn wir aus der kühlen Kirche in die heiße Sonne treten, werde ich sie über meine Braut werfen. Sie wird sagen: »Was ist das, Rinaldo mio?« Und ich werde antworten: »Das ist die Zukunft, Luminata. Tausend Stückchen Liebe.«
    Im dritten Bus sah ich, wie es in weiter Ferne, hinter den flachen, dunklen Feldern, blitzte, und mir fiel ein, wer den Blitzableiter erfunden hatte: Benjamin Franklin, Amerika, 1752. Und dann fiel mir plötzlich etwas anderes auf, etwas Furchtbares: Im ganzen Lexikon der Erfindungen , das sich über einen Zeitraum von neunhundert Jahren erstreckte, gab es nur eine einzige Frau. Eine einzige! Selbst die Wollkämmmaschine und der Strumpfautomat waren von Männern erfunden worden. Ich fühlte mich ganz schrecklich bei dieser Erkenntnis, richtig bekümmert. Ich dachte: Nach meinem blitzschnellen Blick auf Lindsey werde ich nach Hause gehen und vorschlagen, daß wir für die einzige Frau, die in tausend Jahren etwas erfunden hat, eine kleine Gedenkstätte errichten. Sie hieß Miss Glover. Ihr Vorname wurde nicht einmal erwähnt.
    In einem meiner Alp- oder Wachträume war ich bei Lindseys Hochzeit Brautjungfer gewesen, doch sie hatte mich natürlich nicht darum gebeten. Ich sah nicht wie eine Brautjungfer aus. Sie nahm dafür ihre Schwester Miranda und ihre Freundin Jennifer. Diese mußten rosa Satinkleider anziehen, Biedermeiersträußchen in der Hand und Blumenkränze auf dem Kopf tragen. Sie sahen einfach lächerlich aus, wie Toilettenpapierverbrämungen. Ich konnte mir gut vorstellen, wie ihre rosa Satinfüße in Pappzylinder gesteckt wurden.
    Ich kam sehr spät an der Kirche an, als vorletzte, direkt vor der Braut. Der Schatz Ranulf stand schon wartend am Altar. Die Toilettenpapierverbrämungen drängten sich in der kalten Vorhalle aneinander und versuchten ihre Arme, die eineGänsehaut hatten, mit den Blumen zu wärmen. Jennifer sah mich finster an. Sie war wegen meiner Liebe zu Lindsey schon immer eifersüchtig gewesen. Sie fragte: »Was hast du denn da an, Marty? Das sieht ja furchtbar aus.« Ich antwortete: »Es ist meine Höhlenforscherkleidung« und betrat die Kirche.
    Man sah sich nach mir um und starrte mich an. Alle Frauen trugen Hut und hatten sich die Lippen geschminkt. Es war offensichtlich, daß niemand auch nur im Traum daran gedacht hatte, es könnte an diesem Tag regnen. Sie hatten es sich auch nicht träumen lassen, daß jemand wie ich eingeladen werden würde. Einer der Platzanweiser kam zu mir und fragte mich: »Braut oder Bräutigam?« – »Wie bitte?« – »Auf welche Seite gehören Sie?« Er sah trotz des Regens schick aus. Ich dachte: Die Elemente zerstören die Frauen eben schneller. Ganz bestimmt. Dann antwortete ich: »Ich gehöre auf Lindseys Seite. Trotz allem.«
    Er lächelte süffisant, ließ mich ganz hinten Platz nehmen und ging so schnell wie möglich wieder weg. Ich spürte einen Anflug von Neid wegen seiner

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