Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
Verdeck.«
»Zurückklappbar? Wieso zurückklappbar?«
»Das nennt man so«, antwortete Walter. »Ein Kabriolett.«
Er wünschte, er hätte Grace nichts davon gesagt. Sie ließ es als etwas Kindisches erscheinen. Kleine Jungen wurden zu einer Spritztour im Auto mitgenommen, nicht Männer Ende Zwanzig. Doch es war ihm egal. Er freute sich darauf, über vertraute Straßen zu rasen und das Meer zu sehen. Denn das war ihr Ziel. Mr. Blakey hatte gesagt: »In dieser Hinsicht bin ich konservativ, Walter. Ich fahre nicht gern ohne Zweck und Ziel.«
Es war der erste heiße Tag des Jahres, ein Sonntag im Mai. Gilbert hatte den Wagen gewaschen und poliert und die Räder blank geputzt. Das schwarze Leinwandverdeck war zurückgeschlagen. Als sich Walter zu Gilberts Linken in den warmen Ledersitz fallen ließ, lächelte ihn Gilbert mit seinem Eden-Lächeln an, und das freute Walter so, als habe er einen aufrichtigen Kartengruß erhalten.
Die Sonne fiel auf Gilberts Zähne und ließ sie glänzen. Er trug ein blaues Hemd mit einem ärmellosen Pullover, der einer Weste glich, und eine rote Seidenkrawatte. Walter hatte ihn immer nur in seinem weißen Mantel gesehen und war noch nie mit ihm allein gewesen. Er fühlte sich plötzlichatemlos. Er dachte, es ist, als wäre man mit jemand Berühmtem allein. Der Unterschied zwischen diesem und einem selbst läßt einem den Atem stocken.
Sie fuhren in Richtung Aldeburgh. Es lag ein Leuchten in der Luft, wie es Walter, soweit er sich erinnern konnte, noch nie gesehen hatte.
Sie sprachen über die Ermordung Kennedys. Gilbert erzählte Walter, daß er auf einen Parkplatz hatte hinausfahren und seinen Kopf aufs Lenkrad legen müssen. Walter erzählte Gilbert, daß er von Pete, der weinend in den Laden gekommen war, von dem Attentat gehört hatte. Ihr Gespräch über Kennedy schien ein Band zwischen ihnen zu schaffen. Sie schwiegen eine Weile, und man konnte nur das Geräusch des wundervollen Motors hören. Und dann nahm Gilbert seine linke Hand vom Chromlenkrad und legte sie leicht auf Walters Knie.
Walter bewegte sich nicht. Er sah auf die Hand, als wäre sie etwas, das aus dem Weltraum auf ihm gelandet war. Er blickte auf den blassen, mit ein paar Sommersprossen und mattblondem Haar bedeckten Handrücken. Die Finger waren sehr lang und die Nägel perfekt und glänzend.
Walter überlegte, ob er etwas sagen sollte. Er hätte gern gefragt: Möchten Sie, daß ich etwas sage, Mr. Blakey? Er drehte den Kopf ein wenig zur Seite, gerade so weit, daß er Gilbert und seinen Gesichtsausdruck sehen konnte. Gilbert starrte geradeaus auf die Straße. Es war so, als gehörte die Hand, die er auf Walters Knie gelegt hatte, nicht zu ihm, als hätte er nicht bemerkt, daß sie dort war. Walter dachte: Gleich wird er seine Hand wieder wegnehmen, und wir werden ein neues Gespräch über etwas Alltägliches, nicht Kennedy, beginnen, und diesen Augenblick hat es nie gegeben. Er wird wie alles andere auch sein – in der Vergangenheit, nicht vorhanden.
Er bekam eine Erektion. Das geschah nicht oft. Nicht seit Sandra und Cleos Tod und dem Anblick der Garnele. Er wollte, daß Gilberts Hand blieb und daß die Erektion blieb. Er wollte nicht, daß sich dies in der Zeit verlor. Daher legte erseine große, schwerfällige Hand auf Gilberts schlanke. Es kam ihm so vor, als berührte er einen Meteoriten, ebenso außergewöhnlich. Er schob die Hand an seinem Schenkel hinauf und empfand wildes, heißes Glück.
Das Licht veränderte sich. Sie fuhren am Wald von Tunstall entlang. Das Geräusch des Motors klang jetzt anders, da sie langsamer geworden waren. Gilbert nahm seine Hand weg, um den dritten Gang einzulegen. Er lenkte den Wagen auf einen Waldweg, und die großen Bäume beugten sich über ihn und schirmten wie Vorhänge die Sonne ab.
Walter wartete. Er hätte gern etwas geschrien, ein Wort oder aber einen Laut, den er noch nie zuvor von sich gegeben hatte. Sie alle sollten es hören – seine Mutter, Sandra, der Tierarzt und die Garnele – und so erschrecken, daß sie blaß wurden und fassungslos mit offenen Mündern dastanden.
Dann spürte er Gilberts Mund auf seinem. Der kleine Schnauzer kitzelte seine Oberlippe. Er dachte: Nun hat mich Mr. Blakey wieder einmal in eine Lage gebracht, in der ich nicht sprechen kann, aber das ist jetzt wahrscheinlich zu unserem Besten. Das ist die Zukunft, wenn auch eine Zukunft ohne Worte. Sie würden Dinge tun, über die sie niemals sprechen würden.
Was ist
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