Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
damit einsetzende Entlastung – bzw. Ent-Ängstigung – wird vielfältige Aktivitäten erschließen.
Lob kann nur auf erwünschtes Verhalten folgen. Die Wirkung ergibt sich aus dem Maß einer positiven Wertschätzung gegenüber dem Lobenden. In dieser Personenbezogenheit des Lobs liegt die Gefahr der Abhängigkeit. Da keine Perspektiven aufgezeigt werden, wie Teilerfolge ausgedehnt werden können, provoziert bloßes Lob häufig Sackgassensituationen. Wird es unangemessen eingesetzt, wirkt es kontraproduktiv. Demgegenüber ist mit der Ermutigung untrennbar verbunden, dass sie Handlungsschritte in die Zukunft aufweist, egal, ob vom Erfolg oder Misserfolg ausgegangen wird. Je nachvollziehbarer die Richtung, je angepasster die Schritte, desto umfangreicher wird sich zielgerichtetes Agieren entwickeln. Darin liegt die Kraft der Ermutigung. Das Lob dagegen ist ein sich schnell verflüchtigendes, angenehmes Gefühl. Kann die Ermutigung ein Lob mit einbeziehen, gerät sie nicht in Gefahr, das Vorhandene ohne angemessene Bewertung nur als Ausgangspunkt für Weiteres zu sehen. Denn zwischen einem Teilerfolg und dem nächsten Schritt gehört eine angemessene Zeit des freudigen Verweilens, weil sonst Unzufriedenheit und Überforderung einsetzen können.
An dieser Stelle fällt mir folgende Beobachtung aus Afrika ein: Zwei ca. fünf bis sechs Jahre alte Kinder in Lilu, einem Ibu-Ort in Nigeria, spielten miteinander, indem sie eine Mini-Anhöhe herunterrollten. Sie legten sich, trotz ihrer hübschen, sauberen Kleider, Kopf an Kopf in eine Line und probierten aus, wer wie weit kommt. Dann setzten sie sich, schauten auf die zurückgelegte Strecke – es waren wenige Meter – sahen sich an und lachten freudig miteinander. Zigmal derselbe Ablauf: rollen, ankommen, zurückblicken, sich gemeinsam freuen. Für mich wurde der Vorgang zur Allegorie ›Zufriedenheits- und Erfolgs-Gefühle entstehen dann, wenn wir uns regelmäßig das Geleistete in Freude vor Augen führen‹. Diese Kinder brauchte niemand zu ermutigen, erst recht nicht zu loben (viele europäische Mütter hätten sich stattdessen ärgerlich auf die staubig gewordenen Kleider und den anstehenden Waschvorgang konzentriert). Sie hatten aus sich heraus das Gefühl, das selbstgesteckte Ziel auch erreicht zu haben.
Kinder sind Gäste, die nach dem Weg fragen , so lautet der Titel eines Buches von Jirina Prekop und Christel Schweizer. Aber wie kann eine Wegauskunft gegeben werden, wenn der Zielpunkt nicht bestimmbar ist? Wie wird denn die zukünftige Welt aussehen?
Auch wenn vieles außerhalb unserer Vorstellung liegt, die Aufgabe, darauf vorzubereiten, nimmt uns niemand ab. Denn immer dann, wenn nicht klar ist, was konkret auf Menschen zukommen wird, können und müssen wir zeitüberdauernde Fähigkeiten und Lebensstabilisatoren in den Blick nehmen. Ich habe dazu im Rückblick auf die großartigen technischen und kulturellen Meisterleistungen nach vernichtenden Kriegen und großen Katastrophen eine verblüffend einfache Antwort gefunden: Zielstrebigkeit, Mut, Kraft, Geschick, Ausdauer, Ideenreichtum, Verantwortungsbewusstsein, Geschick im Umgang mit Geld und Dingen und die Fähigkeit, mit anderen gemeinsam zu handeln, ließen nicht nur existenzielle Not überwinden, sondern werden auch heute als die Schlüsselqualifikationen für das Bestehen des Einzelnen in immer differenzierter werdenden Arbeitsfeldern in einem globalisierten Wirtschaftssystem betrachtet. Eine solche Mitgift wird junge Menschen wirkungsvoll auf ein eigenverantwortliches und zukunftstaugliches Leben vorbereiten, ohne es im Detail zu kennen.
Menschen für die Welt von morgen
Die Erziehung des Menschen beginnt mit der Geburt. Wer sich dieser Aufgabe verweigert, verhindert Lebenserfolg. Die Nutzung der Spannung der in diesem Kapitel aufgeführten und zum Teil scheinbaren Gegensätze gibt Kraft für eine zukunftsweisende Erziehung. Sie erhält ihre deutlichste Wirksamkeit durch die Umsetzung der Begriffe
❯ wohlwollend,
❯ konsequent und
❯ vorlebend.
Wohlwollend steht für einen durch Behutsamkeit, Rücksichtnahme, Zuversicht und Ermutigung geprägten Umgang. Konsequenz ist gleichbedeutend mit dem Verdeutlichen und Zulassen von Folgen des eigenen Handelns, um so Grenzen, Rücksicht und Gerechtigkeit zu erfahren. Vorlebend schließlich drückt aus, dass das eigene Tun oder Unterlassen an den gleichen Kriterien gemessen wird wie das der Heranwachsenden; immer bemüht, in positiver Weise mindestens
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