Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
Familien dringend in die Krippe müssen (die anderen natürlich auch), weil sie dort optimal gefördert würden und gerade so die mangelnden Sprachkenntnisse ausgeglichen werden könnten, zeigt dieser Befund eine Misere auf. So hat eine Untersuchung im Land Berlin zutage gebracht, dass mehr als die Hälfte der Vier- bis Fünfjährigen, die in Berlin spezielle Sprachförderung brauchen, jahrelang eine Kita besuchten. Offenbar hat sie das sprachlich aber nicht weitergebracht. So wird in diesem Artikel kritisch gefragt: »Wie kann in einer babylonischen Sprachsituation Deutsch erlernt werden?« 17 Wie können Kinder von brabbelnden Kindern richtiges Sprechen erlernen?
Was ist passiert, dass die Sprache nicht mehr in erster Linie im Elternhaus erlernt wird? Wieso werden Krippen und Kindergärten benötigt, um in die Sprache zu finden? Weshalb versuchen staatliche Initiativen – fast automatisch – alle möglichen Erziehungs-Defizite auszugleichen, ohne sich gleichzeitig den Ursachen zu stellen? Sicher sind durch die vielen Familien mit Migrations-Hintergrund manche – auch sprachlichen – Probleme erklärbar. Aber diese Begründung trifft nur teilweise zu, weil in ihrer jeweiligen Muttersprache gut aufgewachsene Kinder recht schnell eine weitere Sprache erlernen können. Bei genauerem Hinsehen geht es – egal ob mit oder ohne Migrations-Hintergrund – um das Maß eines aktiven und richtigen Gebrauchs der Sprache im alltäglichen Leben, um die Art, Intensität und Qualität der Sprach-Entwicklung und Sprech-Fähigkeit. »Es gibt einfach zu viele anregungs-arme Familien, das ist ein großer Teil des Problems«, hat der Berliner Kinder- und Jugendarzt Ulrich Fegeler in seiner Praxis beobachtet. Kann eine solche fachliche Einschätzung einfach so im Raum stehen gelassen werden?
Kinder brauchen qualifizierte Ansprache, um in die Sprache zu finden.
Weltweit erlernen Kinder ihre Erstsprache in der Regel nicht im Rahmen eines organisierten Lernprogramms, sondern sie ist das Ergebnis eines aktiven alltäglichen Umgangs zwischen Erwachsenen und Kindern. Dieser Vorgang wird als ›Erwerb der Muttersprache‹ bezeichnet. Dass nicht nur die Mutter, sondern auch der Vater und andere Beziehungspersonen an diesem Prozess beteiligt sind, ist selbstverständlich. Basis ist aber, dass richtig mit Kindern sprechenden Erwachsenen die Hauptfunktion zukommt. Da jedoch der Spracherwerb in der Regel mit Mühe, Wiederholung, Übung, Zuwendung, Kontinuität und Zeit verbunden ist, werden Trägheit, Inkonsequenz, fehlende Empathie und Ansprache, häufig in Kombination mit (angeblichem) Zeitmangel, starke Beeinträchtigungen bzw. Defizite nach sich ziehen.
Interviews mit Sprachtherapeuten ergaben, dass seit ca. 20 bis 30 Jahren die Zahl der Kinder mit einer Spracherwerbs- bzw. Sprachentwicklungs-Verzögerung ständig zunimmt, während durch Krankheiten oder sonstige Ereignisse ausgelöste Beeinträchtigungen abnehmen. Ein Logopäde aus dem Allgäu konstatierte: ›Erwachsene sprechen immer weniger mit Kindern.‹ Bei der Einschulung wird festgestellt, dass immer mehr Kinder – auch ohne Migrations-Hintergrund – sprachlich unterentwickelt sind, sowohl auf den Wortschatz als auch auf die Artikulationsfähigkeit bezogen. ›Zu wenig Bewegung, zu viel Fernsehen, zu wenig sprachlicher Kontakt‹, lautet das Fazit von Dr. Fegeler. Körperliche Ursachen hätten im Verlauf der vergangenen Jahre keineswegs zugenommen. Dennoch steige der Förderbedarf bei Kindergarten- und Grundschulkindern stetig. Er wird deutlich: »Glotze aus!« Jeden Abend fünf Minuten eine Geschichte vorlesen und dann gemeinsam darüber reden: Das trainiere richtiges Sprechen und Sprachverständnis. 18
Zum Trugschluss der Bedeutung von Wissen
»Input, Input, Input«, ruft der so menschlich wirkende Fantasieroboter voller Wissensdurst im Angesicht tausender Bücher im amerikanischen Spielfilm Nummer 5 lebt und nimmt seitenweise Fakten in Bruchteilen von Sekunden auf. Ganze Regale werden durchgekämmt, die Lesegeschwindigkeit ist atemberaubend.
Obwohl wir täglich feststellen, dass unser Wissen viel zu selten zu einem adäquaten Handeln führt, glauben wir, per Lernstoff-Angebote und sich auf Faktenvermittlung stützende Aufklärungsaktivitäten Kinder und Jugendliche optimal auf das vor ihnen liegende Leben vorbereiten zu können. Welch eine Paradoxie: Wir wissen – und können es häufig genug erleben –, dass Faulheit Erfolg verhindert, Gewalt neue Gewalt entstehen
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