Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
Mitarbeiter wirklich nicht auf die Idee kommen wollen, hier nach Abhilfe zu suchen.
Aber nicht nur öffentliche Arbeitgeber sind hier im Visier. Viele Großbetriebe und manche Unternehmen des Mittelstandes sind vergleichbar infiziert. Folgenloses Zuspätkommen, Friseurtermine während der Dienstzeit, private Dauertelefonate mit ihren zeitlichen und finanziellen Folgen, ein bis zwei Tage Fernbleiben von der Arbeit – häufig vor oder nach Feiertagen – ohne Verdienstausfall und die Versorgung mit diversen Materialien aus dem reichlich sortierten Fundus des Betriebes fürs Zuhause gleichen die zu geringe Dotierung aus. Berechtigte Anfragen von Personalabteilungen zur Effizienz und Effektivität der Arbeit fehlen oder werden zurückgewiesen. Raucher, die ihrem Laster nur abseits vom Arbeitsplatz in Sonderräumen frönen können, kommen bei nur sechs bis acht Zigaretten während der Arbeitszeit schnell auf eine Stunde bezahlter Zusatzpause, wenn sie dazu nicht ausstempeln müssen. Wenn mit gleicher Selbstverständlichkeit zwölf Prozent bei den finanziellen Bezügen abgezogen würden, wäre der Teufel los. Eine langjährige Betriebszugehörigkeit wird als Besitzstand definiert, unabhängig davon, wie viel vom Einzelnen zum Wohle des Unternehmens beigetragen wurde.
Das eigentliche Problem ist jedoch nicht, dass verwöhnte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Prinzip ›Das Optimum für mich, ein Minimum für die Arbeitsstelle‹ von sich aus leben wollen, sondern dass sie dazu geradezu aufgefordert werden. Dies multipliziert Verwöhnung, reduziert Wettbewerbsfähigkeit und vernichtet Arbeitsplätze. Japaner, so berichtete mir ein international tätiger Manager, denken und handeln anders. Sie investieren möglichst viel in die Leistungsfähigkeit ihres Betriebes, getreu dem Grundsatz ›Wenn es dem Arbeitgeber gut geht, hat auch mein Job Zukunft‹.
Patientenverwöhnung per Rezept
»Wenn Ärzte und Krankenkassen in einer konzertierten Aktion ihre Patienten wenigstens einmal jährlich zu einer Heilfastenkur verpflichten würden, hätte dies nicht nur einen großen Schub in der Volksgesundung zur Folge, sondern würde gleichzeitig lawinenartig Krankheitskosten reduzieren«, so der Referent eines Wochenend-Seminars zum ›süßen Gift der Verwöhnung‹. Das Beispiel verfehlte seine Wirkung nicht. Nachdenklichkeit machte sich breit.
Da wird seit Jahren über die ständig steigenden Kosten für Medikamente, Ärzte und Krankenhäuser diskutiert, aber kein Lösungsvorschlag hat das Ziel, Krankheit zu eliminieren. Vielmehr sollen Facharztbesuche kontrolliert, Behandlungshonorare minimiert, Medikamente kontingentiert oder Krankenhausbetten reduziert werden. Führen solche Maßnahmen – wenn überhaupt – zu einer finanziellen Entlastung, scheinen für viele politisch Verantwortliche die geringeren Kosten gleichzeitig Ausdruck einer größeren Volksgesundheit zu sein. Ein solcher Denkansatz ist ähnlich plausibel, wie die Verringerung der Kriminalitätsrate durch einen Abbau an Gefängnisplätzen erreichen zu wollen. Geht es einem Gesundheitsministerium jedoch nur um Kostenreduzierung, hätte dieses Ressort den Namen nicht verdient. Bloße Begrenzungen für das Ausgabeverhalten könnten genauso gut – oder vielleicht sogar besser – vom Finanzminister festgesetzt werden.
Von Minute zu Minute potenziert sich das Ausmaß von Krankheit in unserer Gesellschaft. Zu reichliche, fette und übersüßte Ernährung, ein schädigendes Trinkverhalten, kombiniert mit einem übergroßen Bewegungsmangel, führen dazu, dass die Leistungsfähigkeit vieler Menschen rapide abnimmt. »Immer mehr der in Deutschland lebenden Kinder sind zu dick«, so das Forschungszentrum für Psychologie der Universität Trier. »Nur wenige der übergewichtigen Kinder erreichen im Erwachsenenalter ein Normalgewicht, deshalb wird Fettsucht zu einem wachsenden gesellschaftlichen Problem. Heute wiegt bereits jedes fünfte Kind zu viel. Wir nähern uns amerikanischen Verhältnissen.« 26
Zwischen einem im Kopf vorhanden zu sein scheinenden Gesundheitsbewusstsein und einer gesunden Lebensführung klafft eine große Lücke. »Jeder sechste Mann und jede zehnte Frau trinkt zu viel Alkohol.« Das geht aus dem ersten Gesundheitsbericht für Deutschland hervor, der im November 1998 vom Statistischen Bundesamt vorgestellt wurde. Dem Bericht zufolge ist Rauchen neben übermäßigem Alkoholkonsum das zweite große Suchtproblem. Dieser Trend entwickelte sich seither
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