Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
rasant weiter.
Die Frage, weshalb nicht durch klare Vorgaben die Volksgesundung zum Ziel gemacht wird, liegt immer noch auf dem Tisch. Fehlt der Mut oder mangelt es an Einsicht? Der Druck ist wohl noch nicht groß genug. Aber je träger die Masse, desto länger muss die Vorlaufzeit sein, damit eine eingeleitete Kurskorrektur Wirkung zeigt.
Ein reduziert handlungsfähiger Kapitän hat mit der »Titanic« vor der Weltöffentlichkeit ein tragisch ausgegangenes Feldexperiment durchgeführt: Zu spätes Reagieren schließt eben aus, noch blitzschnell eine tödliche Gefahr umschiffen zu können. Aber wie bei dieser Schiffskatastrophe wird die Zeche verfehlter Kurskorrekturen von der breiten Bevölkerung zu zahlen sein. Die sogenannten Oberverantwortlichen haben meist den gesichertsten Zugriff auf ein Rettungsboot. Und Ärzteschaft und Versicherungen scheinen gut von den Krankheiten ihrer Patienten zu leben. Weshalb sollten sie ein Interesse an einer Änderung haben? Auch die meisten Patienten lassen sich lieber ein paar Pillen gegen Kreislaufprobleme als eine Veränderung ihres Lebensrhythmus verordnen.
Nicht verwöhnend ist, wenn Raucher, Fettleibige, Alkoholiker, Pistenrambos, Menschen, welche sich zu wenig bewegen bzw. einer dauernden Überzuckerung frönen oder auf andere Weise fahrlässig ihre Gesundheit schädigen, auch für die damit verbundenen Folgekosten einstehen. Im Bereich der zahnmedizinischen Vorsorgeuntersuchung wurde dieser Denkansatz in einem ersten Schritt umgesetzt. Fehlende Arztkonsultationen – und damit erhöhte Risiken – gehen wenigstens teilweise zulasten der Ignoranten und sind nicht mehr unfreiwilligerweise von der Gemeinschaft der Versicherten zu berappen.
Rezipientenverwöhnung per Medienprogramm
›Früher musste man wenigstens etwas Fantasie aufbringen, um träumen zu können; heute brauche ich nur den Fernseher einzuschalten und ich befinde mich in den schillerndsten Welten.‹ Per Internet mal blitzschnell in die aktuellsten Ereignisse schauen, Filme führen und verführen in fiktive Szenarien, per Funk überfluten uns Nachrichten aus aller Welt, Zeitschriften und Bücher schütten mit Worten zu, Illustrierte gaukeln scheinbare Realitäten vor, Video-Szenarien und Fernseh-Programme suchen täglich neu Zuschauer emotional erregend an sich zu binden. Was den TV-Konsum betrifft, karikierte ein Kritiker: »Alle Bundesdeutschen versammeln sich allabendlich um ihre SAT-Schüssel, beziehen ihre Nahrung daraus, betätigen dauernd die Menütaste, verderben sich an ihr den Magen, hoffen auf den nächsten Wechsel, starren gebannt auf sich ständig millionenfach neu formierende Punkte, werden immer stärker von der Schüssel aufgesogen, leben mit ihr in Symbiose. Die Republik teilt sich auf in Programm-Eingeber und Programm-Hinnehmer. Die Schüssel ist Ausgangspunkt und Ziel des Lebens, verbannt die Realität ins Absurde.«
In kleinsten Zwischenschritten, selbst für aufmerksame Menschen kaum bemerkbar, werden wir in den Bann von Untätigkeit, ›Jetzt und Sofort‹, Mühelosigkeit und Irrealität gezogen. Soziale Kontakte sind nicht vorgesehen, eigene Leistung beschränkt sich auf die Suche nach dem besten Kick, Überfütterung ist erwünscht. ›Weshalb in die Ferne schweifen, liegt das Leichte doch so nah.‹ Rauf auf Zugspitze oder Matterhorn im Naturfilm, per Talkshow rein in die sich entblößende Intimsphäre von Herrn und Frau Jedermann, dann die seichte Muße des Vorabendprogramms, etwas Sex und Crime als Absacker, ein Blick in manch abgrundtiefe Perversität am späten Abend und zum Ausgleich wird in den TV-Gottesdienst am Sonntagmorgen reingeschnuppert.
Damit nicht nur die Sehmuskulatur arbeitet, schieben wir häufig unsere Hände mit Essbarem Richtung Mund. Somit bekommt der Zahnarzt auch was zu tun. Der Magen rebelliert nicht nur wegen der azyklisch eingebrachten Naschereien, sondern auch als Replik auf das unaufhaltsam sich ergießende Schüssel-Sammelsurium. Hier knusperfrische süßsalzige Chips, dort bluttriefende Clips. Wie im Schlaraffenland ist alles möglich. Wollen, klicken, fertig. Nur die Fernbedienung darf auf keinen Fall defekt werden, denn einen Programmwechsel am Apparat selbst vornehmen zu müssen, wäre Schwerstarbeit. So wird Eigenaktivität ausgegrenzt, wird der Müßiggang zum Muss.
Das Fernsehen entwöhnt durch Filmhandlung und Sehdauer alleMenschen vom realen Leben, auch wenn die Folgen für Kinder schwerwiegender sind. Dazu kommen die gesundheitlichen
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