Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
könnten.
Abraham Lincoln
»Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern es ist schwer, weil wir es nicht wagen.« So der römische Philosoph Seneca vor fast 2 000 Jahren. Beppo Straßenkehrer in Michael Endes Erfolgsroman Momo scheint diesen Zusammenhang begriffen zu haben: ›Schritt für Schritt und immer konzentriert auf den nächsten Abschnitt‹, weil beim Blick auf das Gesamtvorhaben schnell die Motivation schwindet. Diese Lebensweisheit erscheint mir bei der Zielsetzung, der Verwöhnung ganz persönlich den Kampf anzusagen, weiterführend und ermutigend zugleich.
Zur Vergegenwärtigung: Inaktivität bei einem gleichzeitig stark ausgeprägten Verlangen, alles haben zu wollen, dies sind die Bilanzposten einer Investition in die Verwöhnung. Ein lebenslang fälliger hoher Zinsdienst belegt eine klare Fehlentscheidung! Und wie bei einem Konkurs im Wirtschaftsleben geht auch ein menschliches Desaster zulasten anderer. Dies wirkt sich, wie schon herausgearbeitet wurde, entsprechend negativ auf
❯ Schule, Ausbildung, Beruf,
❯ Freundschaft, Partnerschaft, Liebe und Ehe,
❯ Gesundheit,
❯ Freizeit und Konsum sowie
❯ das gesamte Leben in der Gesellschaft
aus. Deutlich wird dies immer dann, wenn auf anstehende Aufgabenstellungen mit Verweigerung reagiert wird, diesbezügliche Ansprüche aber klar aufrechterhalten werden. Diese Mischung aus Resignation und Forderung zieht sich wie ein roter Faden durch das weitere Leben. ›Das will ich aber, und zwar jetzt und sofort‹ ist Ausdruck eines solchen Verlangens nach Zuwendung. Das rücksichtslose Einfordern unterschiedlichster Dienste steigert sich bis hin zur Tyrannei, welche häufig durch eine selbstgefällig zur Schau gestellte Hilflosigkeit zu kaschieren gesucht wird. Und da in neuen Situationen diese Mechanismen nicht oder nicht sofort greifen, sind Crashs vorprogrammiert.
Der entscheidende Klick im Kopf
Weder die Erziehung noch der Umgang zwischen Erwachsenen sollte zum Experimentierfeld eigener neurotischer Störungen verkommen. Wird hier an der Fortpflanzung eigener Ängste und Unsicherheiten gewerkelt, führt dort ein erneuter Selbstverwirklichungstrip zu Schwierigkeiten für andere. Da können ›Vollwert-Mütter‹ das Glucken nicht lassen, hier verteidigen Männer vehement ihre Rundum-Verwöhnung. Solche Störungen im zwischenmenschlichen Umgang lassen sich nicht einfach abschalten. Wie ein verkapselter Infektionsherd wehrt sich die Verwöhnung gegen jede Maßnahme, die ihren Einfluss auf die Entscheidungen eines Menschen reduzieren könnte. Um wieder ein funktionsfähiges Immunsystem schaffen und neu Potenziale zur Übernahme von Selbstverantwortung erschließen zu können, sind entsprechende Fehlschaltungen im Kopf aufzuheben.
Dies ist jedoch keinesfalls ein einfaches Vorhaben. Es sind Sensoren vonnöten, die möglichst schnell negatives – sprich verwöhnendes – Verhalten als solches erkennen und melden. Umgehend sind dann aufgrund dieses Störsignals die entsprechenden Korrekturen vorzunehmen. Somit ist der ›Klick im Kopf‹ die wichtigste Voraussetzung, sich regelmäßig wieder auf den richtigen Kurs zu bringen. Aber »ein Mensch kann sich nur ändern, wenn in einer exemplarischen mitmenschlichen Beziehung alle jene Wesenskräfte in ihm wachgerufen werden, die in einer unglückseligen Kindheit verschüttet wurden« 77 . Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass wichtige Personen aus dem Lebensumfeld wesentlich am Erfolg oder Nicht-Erfolg des ›Umschaltens‹ beteiligt sind.
Ein erster Schritt besteht darin, einige Denkfallen wegzuräumen. Die nachfolgenden Ausführungen sind eine Replik auf die mir gegenüber bei Vorträgen und in Briefen am häufigsten geäußerten Anfragen oder Unterstellungen. So ist Erziehung keinesfalls Manipulation , wie auch Erich Fromm unterstreicht. In Verantwortung er-ziehen heißt »etwas herausbringen, was potenziell bereits vorhanden ist« 78 , Kindern und Jugendlichen helfen, ihre Möglichkeiten zu realisieren. Alfred Adler fokussiert: »Erziehen heißt ermutigen.« – Auch sind Grenzen keine Verbote, sondern Markierungen zur Orientierung, um zwischen Distanz und Nähe, Ruhe und Lärm, Gewalt und Liebe, Mein und Dein unterscheiden zu können. Zum angemessenen Umgang mit Grenzen wurden Regeln vereinbart. Grenzen können jedoch nur durch ein stabiles Selbst akzeptiert werden. Ängstliche Menschen dagegen versuchen permanent durch Übergriffe und Angriffe ihr schwaches Ich verteidigend zu
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