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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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demütigen. Ist es das, Pat?«
    »Bin ich das Weibsbild?« fragte Angie. Sie begann zu keuchen. Außerdem drang tief aus ihrer Kehle ein leises Knurren; vielleicht wurde es von dem Kaugummi hervorgerufen.
    »Ja«, erwiderte Patrick mit einiger Mühe - er bekam ständig ihre Haare in den Mund.
    »Was regt sich Ms. Shanahan denn wegen mir so auf?« fragte Angie; es hörte sich an, als wäre sie außer Atem. Doch nicht etwa so was wie Crystal Pitney? fragte sich Wallingford. Hoffentlich nicht. »Ich habe gestern nacht mit Mary geschlafen. Vielleicht habe ich sie geschwängert«, sagte Patrick. »Sie wollte das so.« »Ja, das erklärt so einiges«, sagte die Maskenbildnerin. »Ich weiß, daß du da bist! Nimm gefälligst ab, du Arsch!« heulte Mary. »Mein lieber...«, begann Angie. Offenbar versuchte sie, Wallingford auf sich zu wälzen - anscheinend hatte sie genug davon, oben zu liegen. »Eigentlich müßtest du für Wisconsin packen! Du müßtest dich vor deiner Reise ausruhen!« schrie Mary. Eine der Frauen aus dem Nachrichtenstudio versuchte, sie zu beruhigen. Man hörte den Kellner etwas von der Trüffelsaison sagen.
    Patrick erkannte seine Stimme. Das Restaurant war ein italienisches Lokal in der West Seventeenth. »Was ist mit Wisconsin?« jammerte Mary. »Ich wollte das Wochenende in deiner Wohnung verbringen, während du in Wisconsin bist, um sie schon mal auszuprobieren...« Sie begann zu weinen.
    »Was ist mit Wisconsin?« keuchte Angie. »Ich fliege da gleich morgen früh hin«, sagte Wallingford nur. Jetzt meldete sich auf dem Anrufbeantworter eine andere Stimme; eine der Frauen aus dem Nachrichtenstudio hatte Marys Handy genommen, nachdem diese sich in Tränen aufgelöst hatte. »Du Scheißkerl, Pat«, sagte die Frau. Wallingford sah ihr chirurgisch schmaler gemachtes Gesicht vor sich. Es war die Frau, mit der er vor langer Zeit in Bangkok gewesen war; damals hatte sie ein volleres Gesicht gehabt. Damit war der Anruf zu Ende.
    »Ha!« schrie Angie. Sie hatte sich und ihn in eine seitliche Stellung manövriert, mit der Wallingford nicht vertraut war. Die Stellung war etwas schmerzhaft für ihn, aber die Maskenbildnerin kam langsam in Fahrt - das Knurren war zum Stöhnen geworden.
    Als der Anrufbeantworter den zweiten Anruf aufzeichnete, bohrte Angie eine ihrer Fersen in Patricks Kreuz. Sie waren immer noch seitlich miteinander verbunden, und Angie ächzte laut, während eine Frauenstimme traurig fragte: »Ist meine Kleine da? Ach, Angie, Angie - mein Liebling, mein Liebling! Du mußt das lassen, was du da tust, Angie. Du brichst mir das Herz!«
    »Mom, Herrgott noch mal...«, fing Angie an, doch dann schnappte sie nach Luft. Ihr Stöhnen war wieder zum Knurren geworden - ihr Knurren zum Röcheln.
    Wahrscheinlich ist sie eine Schreierin, überlegte Wallingford - seine Nachbarn würden denken, er ermordete sie. Ich müßte wirklich für Wisconsin packen, dachte Patrick, während sich Angie heftig auf den Rücken wälzte. Irgendwie hatte sie, obwohl nach wie vor innigst mit ihm verbunden, ein Bein über seine Schulter geworfen; er versuchte sie zu küssen, aber ihr Knie war ihm im Weg.
    Angies Mutter weinte so rhythmisch, daß der Anrufbeantworter selbst präorgasmische Laute von sich gab. Wallingford hörte sie gar nicht auflegen; ihre letzten Schluchzer wurden von Angies Schreien übertönt. Nicht einmal eine Geburt konnte so laut sein, nahm Patrick fälschlich an - nicht einmal Jeanne d'Arc auf dem Scheiterhaufen. Doch Angies Schreie verstummten jäh. Eine Sekunde lang lag sie da wie gelähmt; dann begann sie sich hin und her zu werfen. Ihr Haar peitschte Wallingfords Gesicht, ihr Körper bäumte sich gegen ihn, ihre Fingernägel kratzten über seinen Rücken.
    Au weia, eine Schreierin und eine Kratzerin, dachte Wallingford - der die jüngere, unverheiratete Crystal Pitney nicht vergessen hatte. Er barg das Gesicht an Angies Hals, damit sie ihm nicht die Augen auskratzen konnte. Er hatte schlichtweg Angst vor der nächsten Phase ihres Orgasmus; sie schien übermenschliche Kräfte zu besitzen. Ohne einen Laut, ohne das leiseste Stöhnen war sie kräftig genug, das Kreuz durchzudrücken und ihn von sich herunterzuwälzen - zuerst auf die Seite, dann auf den Rücken. Wie durch ein Wunder waren sie die ganze Zeit miteinander verbunden geblieben; es war, als ließen sie sich nie mehr trennen. Sie kamen sich vor wie für immer aneinandergeheftet, eine neue Spezies. Er spürte, wie ihr Herz hämmerte; ihr ganzer

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