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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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»Aha.«
    »Sie waren noch nie hier, oder?« fragte sie ihn. Während er noch immer den Kopf schüttelte, sagte sie: »Sie hätten nicht herkommen sollen, Katastrophenmann.«
    »Warum sind Sie denn hergekommen?« fragte er. Irgendwie fand er mit jedem negativen Wort, das sie äußerte, mehr Gefallen an ihr. Er begann, ihr Gesicht, ein Viereck mit hoher Stirn und breiter Kinnpartie, sympathisch zu finden - ihr kurzes graues Haar saß auf ihrem Kopf wie ein praktischer Helm. Ihr gedrungener Körper sah robust aus und wurde keineswegs zur Schau gestellt; sie trug schwarze Jeans und ein darüberhängendes Männerjeanshemd, das vom vielen Waschen ganz weich aussah. Nach dem zu urteilen, was Wallingford sehen konnte, und das war nicht viel, schien sie kleine Brüste zu haben - sie machte sich nicht die Mühe, einen BH zu tragen. Sie hatte vernünftige, wenn auch schmutzige Laufschuhe an den Füßen, die sie auf eine große Sporttasche gestellt hatte; die Tasche paßte nur zum Teil unter ihren Sitz, hatte einen Schulterriemen und sah schwer aus. Ms. Arbuthnot war offenbar eine Frau Ende Vierzig, Anfang Fünfzig, die mit mehr Büchern als Kleidern reiste. Sie trug kein Make-up, keinen Nagellack und weder Ringe noch anderen Schmuck. Sie hatte kleine Finger und sehr saubere, kleine Hände, und ihre Nägel waren bis zum Fleisch abgekaut.
    »Warum ich hergekommen bin?« wiederholte sie Patricks Frage. »Ich gehe überallhin, wohin ich eingeladen werde, weil ich nicht oft eingeladen werde und weil ich eine Botschaft habe. Aber Sie haben keine Botschaft, oder, Mr. Wallingford? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, weshalb Sie nach Tokio gekommen sind, noch dazu zu einer Tagung über ›Die Zukunft der Frau‹. Seit wann ist ›Die Zukunft der Frau‹ eine Nachricht wert? Noch dazu für den Löwenmann«, fügte sie hinzu. Der Hubschrauber setzte zur Landung an. Wallingford, der das sich vergrößernde Schwarze im Auge behielt, war sprachlos. »Warum ich hergekommen bin?« wiederholte er schließlich Ms. Arbuthnots Frage. Er wollte damit lediglich Zeit gewinnen, während er sich eine Antwort überlegte.
    »Ich werde Ihnen sagen, warum, Mr. Wallingford.« Evelyn legte ihm die kleinen, aber überraschend starken Hände auf die Knie und drückte ihn kräftig. »Sie sind hergekommen, weil Sie wußten, daß Sie hier viele Frauen kennenlernen würden - stimmt's?«
    Sie gehörte also zu den Leuten, die Journalisten im allgemeinen und Patrick Wallingford im besonderen nicht leiden konnten. Wallingford reagierte empfindlich auf beide Aversionen, die weit verbreitet waren. Er wollte sagen, daß er nach Tokio gekommen sei, weil er verdammt noch mal Sonderkorrespondent war und einen Auftrag bekommen hatte, aber er hielt den Mund. Er litt an der häufig anzutreffenden Schwäche, Menschen, die ihn nicht mochten, für sich gewinnen zu wollen; infolgedessen hatte er zahlreiche Freunde, allerdings keine engen und nur sehr wenige männliche. (Er hatte mit zu vielen Frauen geschlafen, um enge Freundschaften mit Männern zu schließen.)
    Der Hubschrauber setzte auf; eine Tür öffnete sich. Ein flinker Page, der auf dem Dach gewartet hatte, kam mit einem Gepäckkarren herangeeilt. Bis auf Evelyn Arbuthnots Sporttasche, die sie lieber selbst trug, gab es kein Gepäck zu befördern.
    »Keine Tasche? Kein Gepäck?« fragte der eifrige Page Wallingford, der immer noch darüber nachdachte, was er Ms. Arbuthnot antworten sollte. »Meine Tasche ist versehentlich auf die Philippinen geschickt worden«, teilte Patrick dem Pagen mit. Er sprach unnötig laut. »Ach, kein Problem. Morgen wieder da!« sagte der Page. »Ms. Arbuthnot«, brachte Wallingford schließlich ein wenig steif heraus, »ich versichere Ihnen, daß ich nicht nach Tokio oder zu dieser Tagung gekommen bin, um Frauen kennenzulernen. Frauen kann ich überall auf der Welt kennenlernen.«
    »Das glaube ich Ihnen aufs Wort.« Evelyn Arbuthnot schien von der Vorstellung wenig angetan. »Und bestimmt tun Sie das auch - überall, ständig. Eine nach der anderen.«
    Miststück! entschied Patrick, dabei war sie ihm gerade sympathisch geworden. Er war sich in letzter Zeit oft dämlich vorgekommen, und Ms. Arbuthnot war ihm eindeutig über gewesen; dennoch hielt sich Patrick Wallingford im allgemeinen für einen netten Kerl. Weil er befürchtete, daß seine verlorene Reisetasche nicht rechtzeitig zu seiner Eröffnungsrede auf der Tagung über ›Die Zukunft der Frau‹ zurück sein würde, schickte

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