Die vierte Hand
bedauerlicherweise selbst gefahren.
Dann fiel Otto ein, daß er noch gar kein Taxi gerufen hatte. Zuerst war die Nummer, die der Barkeeper ihm aufgeschrieben hatte, besetzt. (Wie viele Leute müssen an jenem Super-Bowl-Sonntagabend in Green Bay Taxis gerufen haben, um sich nach Hause fahren zu lassen?) Als Otto schließlich durchkam, machte ihn der Mann in der Zentrale darauf aufmerksam, daß er mindestens eine halbe Stunde würde warten müssen. »Vielleicht sogar eine Dreiviertelstunde.« Der Mann in der Zentrale war ehrlich.
Otto war das egal. Draußen herrschten für die Jahreszeit milde minus vier Grad, und der Betrieb des Defrosters hatte die Fahrerkabine des Wagens etwas geheizt. Zwar würde es da drin bald kalt werden, aber was waren schon minus vier Grad bei leichtem Schneefall für jemanden, der in weniger als vier Stunden acht, neun Bier gekippt hatte?
Otto rief seine Frau an. Er merkte, daß er sie aufgeweckt hatte. Sie hatte das vierte Viertel gesehen; dann war sie, weil sie sich sowohl schlecht als auch deprimiert fühlte, wieder eingeschlafen.
»Ich habe mir die Nachberichterstattung auch nicht ansehen können«, gab er zu.
»Armes Baby«, sagte seine Frau. Diese Worte benutzten sie, um einander zu trösten, doch seit kurzem erwogen sie - angesichts von Mrs. Clausens bislang erfolglos gebliebenem Bemühen, schwanger zu werden - einen neuen Kosenamen. Der Ausdruck bohrte sich wie ein Dolch in Ottos Herz.
»Das wird schon noch, Schatz«, versprach Otto ihr plötzlich, denn der herzensgute Mann war auch in seinem Rausch und seiner Niedergeschlagenheit so sensibel anzunehmen, daß seine Frau hauptsächlich darunter litt, daß sie statt Morgenübelkeit Grippe hatte. Was ihr wirklich zu schaffen machte, war nicht die belanglose Nachberichterstattung, nicht einmal die herzzerreißende Niederlage der Packers. Daß Mrs. Clausens Gynäkologin in Ottos Traum geraten war, leuchtete vollkommen ein; sie war nicht nur die Ärztin, die Mrs. Clausen regelmäßig wegen ihrer ungewollten Unfruchtbarkeit konsultierte, sondern sie hatte Otto und seiner Frau auch gesagt, er solle sich »checken« lassen. (Damit meinte sie diese Spermienzählerei, wie Otto das bei sich nannte.) Sowohl die Ärztin als auch Mrs. Clausen vermuteten, daß Otto das Problem war, aber seine Frau liebte ihn dermaßen, daß sie sich davor fürchtete, es herauszufinden. Otto fürchtete sich ebenfalls - er hatte sich nicht »checken« lassen.
Ihre Komplizenschaft hatte die Clausens noch enger aneinandergebunden, als sie es ohnehin schon waren, doch mittlerweile hatte auch das zuweilen zwischen ihnen herrschende Schweigen etwas Komplizenhaftes. Otto mußte immer wieder daran denken, wie sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten. Das war nicht bloß romantisch von ihm, obwohl er ein zutiefst romantischer Mann war. Im Falle der Clausens war der erste Liebesakt selbst der Heiratsantrag gewesen. Ottos Familie besaß ein Sommercottage an einem See. In Nordwisconsin gibt es viele kleine Seen, und an einem davon besaßen die Clausens ein Viertel der Uferlinie. Als Mrs. Clausen das erste Mal hinkam, erwies sich das fälschlich so genannte »Cottage« als Ansammlung von Hütten mit einem nahe gelegenen Bootshaus, das größer war als jede einzelne von ihnen. In dem noch nicht ausgebauten Kaum über den Booten war Platz für eine kleine Wohnung, und es gab zwar keinen Strom auf dem Grundstück, in der Haupthütte aber immerhin einen Kühlschrank (eigentlich sogar zwei), einen Herd und einen Heißwasserboiler (alles mit Propangas betrieben).
Das Wasser für die sanitären Einrichtungen kam aus dem See; die Clausens tranken es nicht, aber sie konnten immerhin ein heißes Bad nehmen, und es gab zwei Toiletten mit Wasserspülung. Sie pumpten das Wasser mit Hilfe eines Benzinmotors von Rasenmähergröße aus dem See, und sie hatten ihren eigenen Klärbehälter - einen ziemlich großen. (Die Clausens achteten gewissenhaft darauf, ihren kleinen See nicht zu verschmutzen.)
An einem Wochenende, als seine Eltern nicht hinfahren konnten, nahm Otto seine zukünftige Frau mit an den See. Sie schwammen kurz vor Sonnenuntergang vom Bootssteg aus, und von ihren nassen Badesachen tropfte das Wasser zwischen den Brettern hindurch. Abgesehen von den Seetauchern war es so ruhig, und sie saßen so still, daß das von ihren Badeanzügen tropfende Wasser sich anhörte, als hätte jemand einen Hahn nicht ganz zugedreht. Die Sonne war erst vor wenigen Minuten
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