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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Maschine geraten und übel zugerichtet worden war.
    Zajac saß bei dem indischen Anästhesisten, als die Kleine aufzuwachen begann. Wenn Kinder aus der Narkose erwachen, frieren sie jedesmal, sind oft desorientiert und normalerweise verstört. Manchmal ist ihnen auch schlecht.
    Dr. Zajac wußte noch, daß er sich entschuldigte, um sich den Anblick des unglücklichen Kindes zu ersparen. Er würde sich natürlich ansehen, was die Hand machte, aber das konnte auch später geschehen, wenn es der Kleinen besserging.
    »Moment noch - das müssen Sie sehen«, sagte der indische Anästhesist zu Zajac. »Sehen Sie sich die Kleine mal eben an.« Das unschuldige Gesicht des Kindes trug den Ausdruck einer sexuell befriedigten Frau. Dr. Zajac war schockiert. (Die traurige Wahrheit sah so aus, daß Zajac persönlich noch nie das Gesicht einer Frau gesehen hatte, die sexuell so befriedigt gewesen war.)
    »Mein Gott, Mann«, sagte Dr. Zajac zu dem indischen Anästhesisten, »was haben Sie ihr gegeben?«
    »Bloß etwas in ihrer Infusion - und nicht sehr viel davon!« antwortete der Anästhesist.
    »Aber was ist das? Wie heißt das?«
    »Das darf ich Ihnen nicht sagen«, sagte der indische Anästhesist. »Bei Ihnen bekommt man es nicht und wird es auch nie bekommen. Hier ist es auch bald nicht mehr zu haben. Das Gesundheitsministerium hat vor, es zu verbieten.«
    »Das will ich auch hoffen«, meinte Dr. Zajac - und verließ abrupt das Aufwachzimmer.
    Aber die Kleine hatte keinerlei Schmerzen gehabt, und als Zajac später ihre Hand untersuchte, war alles in Ordnung und das Mädchen wohlauf. »Hast du Schmerzen?« fragte er die Kleine. Eine Schwester mußte für ihn übersetzen.
    »Sie sagt ›alles okay‹. Sie hat keine Schmerzen«, dolmetschte die Schwester. Das Mädchen plapperte weiter.
    »Was sagt sie?« fragte Dr. Zajac, und die Schwester wurde plötzlich schüchtern oder verlegen.
    »Wenn die doch bloß dieses Schmerzmittel weglassen würden«, sagte sie. Das Kind erzählte offenbar eine längere Geschichte. »Was erzählt sie denn da?« fragte Zajac.
    »Ihren Traum«, antwortete die Schwester ausweichend. »Sie glaubt, sie hätte ihre Zukunft gesehen. Sie wird sehr glücklich sein und viele Kinder haben. Zu viele, meiner Meinung nach.«
    Die Kleine lächelte ihn bloß an; für eine Dreijährige hatte etwas unpassend Verführerisches in ihrem Blick gelegen.
    Jetzt, in Dr. Zajacs Sprechzimmer in Boston, grinste Patrick Wallingford auf die gleiche schamlose Weise.
    Was für ein absolut irrer Zufall! dachte Dr. Zajac, während er Wallingfords sexuell benebelten Gesichtsausdruck betrachtete. »Die Tigerpatientin« hatte er die Kleine in Bombay genannt, weil sie ihren Ärzten und Schwestern erklärt hatte, das Getriebe habe sie, als ihre Hand in die Maschine geriet, wie ein Tiger angeknurrt. Irre oder nicht, irgend etwas an Wallingfords Blick gab Dr. Zajac zu denken. »Der Löwenpatient«, wie Zajac ihn schon lange bei sich nannte, brauchte möglicherweise mehr als eine neue linke Hand. Er wußte freilich nicht, daß Wallingford endlich gefunden hatte, was er brauchte - er hatte Doris Clausen gefunden.

7
Das Stechen
    Wie Dr. Zajac auf seiner ersten Pressekonferenz nach der fünfzehnstündigen Operation erklärte, sei der Patient »noch nicht über den Berg«. Patrick Wallingford sei nach dem Erwachen aus der Narkose noch schläfrig, aber in stabilem Zustand. Der Patient nehme natürlich »eine Kombination von Immunsuppressorien« ein - Zajac verriet nicht, wie viele und für wie lange. (Auch die Steroide erwähnte er nicht.) Der Handchirurg war in dem Moment, in dem sich die Aufmerksamkeit des ganzen Landes auf ihn richtete, sichtlich gereizt. Nach den Worten eines Kollegen - dieses Trottels Mengerink, des Kretins, der Zajac Hörner aufgesetzt hatte - guckte Zajac außerdem »so knopfäugig wie der sprichwörtliche verrückte Wissenschaftler«.
    Vor dem historischen Eingriff war Dr. Zajac kurz vor Anbruch der Morgendämmerung in dem grauen Schneematsch am Ufer des Charles gelaufen. Zu seiner Bestürzung hatte ihn in dem geisterhaften Nebel eine junge Frau überholt, als hätte er stillgestanden. Ihr in Radlerhosen steckender straffer Hintern bewegte sich resolut von Zajac weg und spannte und entspannte sich dabei wie die Finger einer Hand, die sich zur Faust schließen, öffnen und wieder schließen. Welch eine Faust! Es war Irma. Nur Stunden ehe Dr. Zajac Otto Clausens linke Hand samt Handgelenk mit dem Stumpf von Patrick

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