Die vierte Hand
ihnen abgespielt hatte - abgesehen davon, daß sie ihm nach Hause geholfen hatte. Fünfzehn Stunden Chirurgie lockten. Für Sex war keine Zeit.
Auf der Pressekonferenz im Anschluß an die Operation waren selbst seine mißgünstigsten Kollegen - diejenigen, die ihm insgeheim einen Mißerfolg wünschten - um seinetwillen enttäuscht. Seine Bemerkungen waren zu patzig; sie legten nahe, daß man Handtransplantationen in nicht allzu ferner Zukunft ebenso routinemäßig durchführen würde wie Mandeloperationen. Die Journalisten langweilten sich. Sie konnten es nicht abwarten, bis der Medizinethiker zu Wort kam, den sämtliche Chirurgen von Schatzman, Gingeleskie, Mengerink & Partner verachteten. Und ehe der Medizinethiker fertig war, verlagerte sich die Aufmerksamkeit der rastlosen Medien auf Mrs. Clausen. Wer konnte es ihnen verdenken? Sie war der Inbegriff ergreifender Emotionalität. Irgendwer hatte ihr saubere, femininere Kleidung ohne Green-Bay-Logos besorgt. Sie hatte sich die Haare gewaschen und ein wenig Lippenstift aufgelegt. Im Scheinwerferlicht der Kamerateams wirkte sie besonders klein und verzagt, und die Maskenbildnerin hatte die Ringe unter ihren Augen nicht anrühren dürfen; es war, als wüßte sie, daß das Flüchtige an ihrer Schönheit zugleich das einzig Dauerhafte daran war. Sie war auf irgendwie angeschlagene Weise schön.
»Wenn Ottos Hand überlebt«, begann Mrs. Clausen mit ihrer leisen, aber merkwürdig atemberaubenden Stimme - als wäre die Hand ihres verstorbenen Mannes, und nicht Patrick Wallingford, der eigentliche Patient -, »wird es mir eines Tages wohl ein wenig besser gehen. Wissen Sie, einfach die Gewißheit, daß ein Teil von ihm da ist, den ich sehen kann... berühren...« Ihre Stimme verklang. Sie hatte Dr. Zajac und dem Medizinethiker bereits die Schau gestohlen, und sie war noch nicht fertig - sie fing gerade erst an.
Die Journalisten scharten sich um sie. Doris Clausens Traurigkeit verbreitete sich in Häuser, Hotelzimmer und Flughafenbars auf der ganzen Welt. Sie schien all die Fragen, die die Reporter ihr stellten, gar nicht zu hören. Später ging Dr. Zajac und Patrick Wallingford auf, daß Mrs. Clausen ihrem eigenen Drehbuch gefolgt war - und das ohne Teleprompter. »Wenn ich nur wüßte...« Wieder verstummte sie; zweifellos erfolgte das kurze Schweigen absichtlich.
»Wenn Sie nur was wüßten?« rief einer der Journalisten. »Ob ich schwanger bin«, antwortete Mrs. Clausen. Sogar Dr. Zajac hielt den Atem an und wartete auf ihre Worte. »Otto und ich haben uns ein Kind gewünscht. Vielleicht bin ich ja schwanger, vielleicht auch nicht. Ich weiß es einfach nicht.«
Bestimmt hatte jeder Mann auf der Pressekonferenz einen Ständer, sogar der Medizinethiker. (Nur Dr. Zajac war sich über die Ursache seiner Erektion im unklaren - seiner Meinung nach war sie auf den anhaltenden Einfluß Irmas zurückzuführen.) Jeder Mann in den bereits erwähnten Häusern, Hotelzimmern und Flughafenbars auf der ganzen Welt spürte die Auswirkungen von Doris Clausens erregendem Tonfall. So sicher, wie Wasser gern an einen Steg plätschert und Kiefern an den Spitzen ihrer Zweige neue Nadeln treiben, verschaffte Mrs. Clausens Stimme in diesem Moment jedem heterosexuellen Mann, der gebannt vor den Nachrichten hockte, einen Ständer.
Am nächsten Tag lag Patrick Wallingford neben dem riesigen, fremd wirkenden Verband, der so gut wie alles war, was er von seiner neuen linken Hand sehen konnte, in seinem Krankenhausbett und sah Mrs. Clausen auf dem Nachrichtensender (dem Kanal, bei dem er angestellt war), während die wirkliche Mrs. Clausen besitzergreifend an seinem Bett saß.
Was Doris von Ottos Zeige-, Mittel- und Ringfinger sah - nur die Spitzen, dazu die Daumenspitze ihres verstorbenen Mannes -, faszinierte sie. Der kleine Finger von Patricks neuer linker Hand war unter den Unmengen von Verbandmull verschwunden. Der Verband verbarg eine Schiene, die Wallingfords neues Handgelenk ruhigstellte. Der Verband war so umfangreich, daß man nicht sagen konnte, wo Ottos Hand und Handgelenk sowie ein Teil seines Unterarms angefügt worden waren. Der Bericht über die Handtransplantation auf dem Nachrichtensender begann mit einer bearbeiteten Version der Löwenepisode in Junagadh. Das Zuschnappen und Fressen dauerte in dieser Version nur fünfzehn Sekunden, was Patrick eine Vorwarnung dafür hätte sein müssen, daß man ihm auch in dem nachfolgenden Filmmaterial eine unbedeutendere Rolle zuweisen
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