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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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wieder versucht hat, schwanger zu werden, weiß das mit Sicherheit. Außerdem hatte Doris Clausen bestimmt gewußt, daß es einzig und allein an Otto gelegen hatte, daß sie nicht schwanger geworden war.
    »Sind Sie nett?« flüsterte Mrs. Clausen ihm zu, während ihre Hüften sich unermüdlich gegen den Abwärtsdruck seiner einzigen Hand stemmten. »Sind Sie ein guter Mann?«
    Zwar hatte man Patrick vorgewarnt, daß sie ebendies wissen wollte, doch daß sie ihn direkt fragen würde, hatte er nicht erwartet - sowenig, wie er mit einer sexuellen Begegnung mit ihr gerechnet hatte. Rein als erotisches Erlebnis betrachtet, war der Sex mit Doris Clausen viel stärker mit Sehnsucht und Verlangen aufgeladen als jede andere sexuelle Begegnung, die Wallingford je gehabt hatte. Den von der kobaltblauen Kapsel in Junadagh hervorgerufenen leuchten Traum zählte er nicht mit, aber dieses außerordentliche Schmerzmittel war nicht mehr verfügbar - nicht einmal in Indien - und durfte ohnehin nicht zur gleichen Kategorie gerechnet werden wie richtiger Sex.
    Was richtigen Sex anging, stellte Patricks Begegnung mit Otto Clausens Witwe, so eigenartig und kurz sie auch war, sein gesamtes Wochenende in Kioto mit Evelyn Arbuthnot in den Schatten. Mit Mrs. Clausen zu schlafen übertraf sogar bei weitem Wallingfords stürmische Affäre mit der hochgewachsenen blonden Tontechnikerin, die den Löwenangriff in Junagadh miterlebt hatte.
    Die unglückliche Deutsche, die mittlerweile nach Hamburg zurückgekehrt war, befand sich wegen der Löwen noch immer in Therapie, obwohl Wallingford vermutete, daß es sie stärker traumatisiert hatte, in Ohnmacht zu fallen und dann in einem Fleischkarren aufzuwachen, als mit anzusehen, wie der arme Patrick seine linke Hand samt Handgelenk verlor. »Sind Sie nett? Sind Sie ein guter Mann?« wiederholte Doris, während ihre Tränen Patricks Gesicht benetzten. Ihr kleiner, kräftiger Körper zog ihn immer tiefer in sich hinein, so daß Wallingford sich kaum antworten hörte. Bestimmt bekamen Dr. Zajac und andere Mitglieder des Chirurgenteams, die sich gerade im Wartezimmer versammelten, seine klagenden Schreie mit.
    »Ja! Ja! Ich bin nett! Ich bin ein guter Mann!« heulte Wallingford. »Versprochen?« fragte Doris ihn flüsternd. Es war wieder dieses spezielle Flüstern - absolut mörderisch!
    Erneut gab Wallingford ihr so laut Antwort, daß Dr. Zajac und seine Kollegen es hören konnten. »Ja! Ja! Versprochen! Wirklich, ganz bestimmt!« Etwas später, nachdem es eine ganze Weile still gewesen war, klopfte es an der Sprechzimmertür. »Alles in Ordnung da drin?« fragte der Leiter des Bostoner Teams.
    Auf den ersten Blick schienen sie Zajac durchaus in Ordnung zu sein. Patrick Wallingford war wieder angezogen und saß immer noch auf dem Stuhl. Mrs. Clausen lag, voll bekleidet, rücklings auf Dr. Zajacs Sprechzimmerläufer. Sie hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und ihre angehobenen Füße ruhten auf der Sitzfläche des leeren Stuhls neben Wallingford.
    »Ich habe einen schlimmen Rücken«, erklärte Doris. Das stimmte natürlich nicht. Vielmehr wurde diese Lage in mehreren der vielen Bücher empfohlen, die sie über das Schwangerwerden gelesen hatte. »Schwerkraft«, hatte sie als Erklärung lediglich zu Patrick gesagt, während er sie entzückt anlächelte.
    Sie sind beide verrückt, dachte Dr. Zajac, der Sex im Zimmer riechen konnte. Ein Medizinethiker hätte diese neue Entwicklung vielleicht nicht gebilligt, aber Zajac war Handchirurg, und sein Team brannte darauf, loszulegen.
    »Wenn wir uns jetzt einigermaßen wohl damit fühlen«, sagte Zajac - der zuerst Mrs. Clausen, die sich ausgesprochen wohl zu fühlen schien, und dann Patrick Wallingford ansah, der schwer betrunken oder stoned wirkte -, »wie sieht es dann aus? Haben wir grünes Licht?« »Für mich ist alles okay!« sagte Doris Clausen laut, als riefe sie es jemandem über einen See hinweg zu.
    »Für mich ist alles bestens«, antwortete Patrick. »Ich denke, wir haben grünes Licht.«
    Der Grad von sexueller Befriedigung in Wallingfords Gesicht erinnerte Dr. Zajac an irgend etwas. Wo hatte er diesen Ausdruck nur schon einmal gesehen? Ja, richtig, in Bombay, wo er vor einem ausgewählten Publikum indischer Kinderchirurgen einige überaus heikle Handoperationen an Kindern durchgeführt hatte. An einen Eingriff erinnerte sich Zajac besonders gut - er betraf ein dreijähriges Mädchen, dessen Hand in das Getriebe einer landwirtschaftlichen

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