Die vierte Hand
Hand zum zweiten Mal verlor - oder, genauer gesagt, als er Mrs. Clausen verlor -, war keine Kamera auf ihn gerichtet. Was ihm am meisten ausmachte, war nicht festgehalten worden.
Dem neuen Jahrhundert würde Patrick, zumindest eine Zeitlang, als der Löwenmann im Gedächtnis bleiben. Doch daß er, hätte er über sein Leben Buch geführt, erst dann mit den Aufzeichnungen angefangen hätte, als er Mrs. Clausen kennenlernte, war weder eine Nachricht noch ein geschichtliches Ereignis. Soviel dazu, wie die Welt Buch führt. Auf dem Gebiet der Transplantationschirurgie würde man sich nicht an Patrick Wallingford erinnern. Am Ende des Jahrhunderts zählt man die Erfolge, nicht die Mißerfolge. So blieb auch Dr. Zajac der Ruhm versagt, und sein Moment möglicher Größe wurde überstrahlt von dem Eingriff, der tatsächlich die erste erfolgreiche Handtransplantation in den Vereinigten Staaten und erst die zweite überhaupt werden sollte. »Der Feuerwerksmann«, wie Dr. Zajac ihn ungehobelterweise nannte, schien das zu besitzen, was der Arzt als Dauerbrenner bezeichnete. Am 12. April 1999, weniger als drei Monate nach Erhalt einer neuen linken Hand, führte Mr. Scott beim Eröffnungsspiel der Phillies in Philadelphia den ersten Wurf aus. Wallingford war nicht direkt eifersüchtig. (Neidisch... nun ja, vielleicht. Aber nicht so, wie man annehmen könnte.) Tatsachlich fragte er Dick, seinen Nachrichtenredakteur, ob er den offensichtlichen Dauerbrenner interviewen dürfe. Wäre es nicht passend, schlug er vor, Mr. Scott zu dem zu gratulieren, was er, Wallingford, verloren hatte? Doch ausgerechnet Dick hielt die Idee für »geschmacklos«. Infolgedessen wurde er gefeuert, obwohl so mancher einwandte, er sei ohnehin bloß Nachrichtenredakteur auf Abruf gewesen. Jegliche Euphorie unter den Frauen im New Yorker Nachrichtenstudio war nur von kurzer Dauer. Der neue Nachrichtenredakteur war genauso ein Dicktuer, wie Dick es stets gewesen war; er hieß, etwas enttäuschend, Fred. Wie Mary Soundso - die sich in den dazwischenliegenden Jahren ein schärferes Mundwerk zugelegt hatte - zu sagen pflegte: »Wenn schon Dicktuer, dann lieber ein Dick als ein Frett.« Im neuen Jahrhundert machte dasselbe internationale Chirurgenteam, das in Lyon die erste erfolgreiche Handtransplantation der Welt durchgeführt hatte, einen zweiten Versuch, diesmal mit einer kombinierten Hand- und Unterarmverpflanzung. Der Empfänger, dessen Name nicht veröffentlicht wurde, war ein dreiunddreißigjähriger Franzose, der 1996 bei einem Unfall mit Feuerwerkskörpern (auch er) beide Hände verloren hatte, der Spender ein Neunzehnjähriger, der von einer Brücke gestürzt war.
Doch Wallingford interessierte sich nur für das Schicksal der ersten beiden Empfänger. Dem ersten, dem Exhäftling Clint Hallam, wurde die neue Hand von einem Chirurgen amputiert, der auch an der Transplantation beteiligt gewesen war. Zwei Monate vor der Amputation hatte Hallam aufgehört, die Medikamente zu nehmen, die ihm zur Unterdrückung der Abstoßungsreaktion verschrieben worden waren. Er wurde mit einem Lederhandschuh gesehen, der offenbar die Hand verbergen sollte, die er als »scheußlich« bezeichnete. (Hallam bestritt später, die Medikamente abgesetzt zu haben.) Und sein angespanntes Verhältnis zur Justiz setzte sich fort. Die französische Polizei nahm ihn fest, weil er einem Lebertransplantationspatienten, der sich in der Klinik in Lyon mit ihm anfreundete, angeblich Geld und eine American-Express-Kreditkarte gestohlen hatte. Zwar durfte er - nachdem er einen Teil des Geldes zurückgezahlt hatte - Frankreich schließlich verlassen, wurde jedoch bald darauf wegen seiner möglichen Rolle bei einem Treibstoffbetrug in Australien polizeilich gesucht. (In bezug auf ihn hatte Zajac offenbar recht.) Der zweite, Matthew David Scott aus Absecon, New Jersey, ist der einzige erfolgreiche Empfänger einer neuen Hand, den Wallingford eingestandenermaßen, und aus interessanten Gründen, beneidete. Gegenstand seines Neides war dabei keineswegs Mr. Scotts neue Hand. Doch dank der Berichterstattung über das Spiel der Phillies, bei dem der Feuerwerksmann den ersten Ball warf, bekam Wallingford mit, daß Matthew David Scott seinen Sohn dabeihatte. Dieser Sohn war es, um den er Mr. Scott beneidete.
Noch während er sich vom Verlust der Hand von Otto senior erholte, hatte er Vorahnungen von »Vatergefühlen« gehabt, wie er das später nennen sollte. Die Schmerzmittel waren nichts
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