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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Besonderes, mögen aber durchaus die Ursache dafür gewesen sein, daß er sich seine erste Super Bowl ansah. Natürlich wußte er nicht, wie man sich eine Super Bowl ansieht. Ein solches Spiel soll man sich nicht allein ansehen. Er hatte unentwegt das Bedürfnis, Mrs. Clausen anzurufen, damit sie ihm erklärte, was im Spiel passierte, aber die dreiunddreißigste Super Bowl war der symbolische Jahrestag von Otto Clausens Unfall (oder Selbstmord) in seinem Bierlaster; außerdem spielten die Packers nicht. Deshalb hatte Doris ihm erklärt, sie wolle von dem Spiel nichts sehen und nichts hören. Er würde auf sich allein gestellt sein. Wallingford trank ein, zwei Bier, doch ihm blieb schleierhaft, warum sich die Leute gern Football ansahen. Fairerweise muß man sagen, daß es sich um eine einseitige Partie handelte; die Broncos gewannen ihre zweite Super Bowl hintereinander, und es war kein enges, ja nicht einmal ein umkämpftes Spiel. Die Atlanta Falcons hatten von vornherein nichts in der Super Bowl verloren. (Zumindest war jedermann, mit dem Wallingford später in Green Bay sprach, dieser Meinung.) Doch bei aller Zerstreutheit, mit der er sich die Super Mowl ansah, konnte sich Patrick zum erstenmal vorstellen, mit Doris und Otto junior zu einem Heimspiel der Packers im Lambeau Field zu gehen. Oder nur mit dem kleinen Otto, wenn der Junge etwas älter war. Der Gedanke hatte ihn überrascht, aber es war schließlich erst Januar 1999. Im April dieses Jahres, als er Matthew David Scott und seinem Sohn bei dem Spiel der Phillies zusah, hatte der Gedanke nichts Überraschendes mehr; bis dahin fehlten ihm Otto junior und die Mutter des Jungen wieder ein paar Monate mehr. Mrs. Clausen mochte er verloren haben, doch nun befürchtete Wallingford zu Recht, daß es, wenn er sich jetzt (im Sommer 99, mit acht Monaten, kam Otto junior gerade ins Krabbelalter) nicht bemühte, das Kind häufiger zu sehen, schlicht keine Beziehung mehr gäbe, auf die er später aufbauen konnte.
    Der einzige Mensch in New York, dem Wallingford seine Ängste in bezug auf seine vielleicht verpaßte Vater-Sohn-Beziehung anvertraute, war Mary, und sie war als Vertraute denkbar ungeeignet! Als Patrick sagte, er sehne sich danach, für Otto junior »eher so etwas wie ein Vater« zu sein, erinnerte ihn Mary daran, daß er sie schwängern dürfe, wann immer er Lust dazu habe, und damit Vater eines Kindes würde, das in New York lebte.
    »Um Vater zu sein, mußt du nicht bis nach Green Bay in Wisconsin, Pat«, sagte Mary zu ihm.
    Wie ein ursprünglich so nettes Mädchen dazu gekommen war, ihren monomanen Wunsch nach seinem Samen zu äußern, sprach in Patricks Augen nicht gerade für die anderen Frauen im New Yorker Nachrichtenstudio. Er übersah beharrlich, daß Männer Mary sehr viel stärker beeinflußt hatten. Sie hatte Probleme mit Männern gehabt oder glaubte es zumindest (was auf eins hinausläuft).
    Wenn sich Wallingford am Wochenende von seinen Zuschauern verabschiedete, wußte er nie, ob die beiden zusahen, wenn er »Gute Nacht, Doris, gute Nacht, mein kleiner Otto« sagte. Mrs. Clausen hatte nicht ein einziges Mal angerufen, um zu sagen, daß sie die Abendnachrichten gesehen hatte.
    Inzwischen schrieb man Juli 1999. In New York herrschte eine Hitzewelle. Es war Freitag. Im Sommer fuhr Wallinglord am Wochenende meistens nach Bridgehampton, wo er ein Haus gemietet hatte. Vom Swimmingpool abgesehen - einhändig im Meer schwimmen kam für Patrick nicht in Frage - war es im Grunde genauso, als wohnte man in der Stadt. Er sah genau die gleichen Leute auf genau der gleichen Sorte Partys, und ebendas gefiel Wallingford und einer Menge anderer New Yorker an Long Island.
    An jenem Wochenende hatten ihn Freunde nach Cape Cod eingeladen; er sollte nach Martha's Vineyard fliegen. Doch noch ehe er an der Stelle, wo man ihm die Hand abgenommen hatte, ein leichtes Prickeln verspürte - einige der Stiche schienen in den leeren Raum hineinzureichen, wo seine linke Hand gewesen war -, hatte er seine Freunde angerufen und die Reise mit irgendeiner fadenscheinigen Begründung abgesagt. Zu diesem Zeitpunkt war ihm nicht klar, was für ein Glückspilz er war, daß er an diesem Freitagabend nicht nach Martha's Vineyard flog. Dann fiel ihm ein, daß er sein Haus in Bridgehampton übers Wochenende anderen Leuten überlassen hatte. Ein paar Frauen aus dem New Yorker Nachrichtenstudio veranstalteten dort eine zweitägige Baby-Geschenkparty. Oder eine Orgie, stellte sich Patrick

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