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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Zajac hatte schon immer einen leicht verrückten Eindruck auf ihn gemacht. Vielleicht waren in Cambridge alle verrückt, überlegte Patrick. »Es stimmt schon, in puncto Liebesleben bin ich nicht ganz glücklich«, bekannte Wallingford, doch dann hielt er inne - er konnte sich nicht erinnern, mit Zajac über sein Liebesleben gesprochen zu haben. (Waren die Schmerzmittel stärker gewesen, als er damals gedacht hatte?) Daß er dahinterzukommen versuchte, was an Dr. Zajacs Praxis anders war, verwirrte ihn zusätzlich. Schließlich war diese Praxis heiliger Boden; und doch war sie ihm ganz anders vorgekommen, als sich Mrs. Clausen genau auf dem Stuhl, auf dem er nun saß und die Wände betrachtete, über ihn hergemacht hatte.
    Natürlich! Die Fotos von Zajacs berühmten Patienten - sie waren verschwunden! An ihrer Stelle hingen dort Kinderzeichnungen. Und zwar Zeichnungen eines einzigen Kindes - Bilder von Rudy. Schlösser im Himmel, wie Patrick vermutete, und mehrere Zeichnungen von einem großen, sinkenden Schiff; zweifellos hatte der junge Künstler Titanic gesehen. (Rudy und Dr. Zajac hatten den Film zweimal gesehen, obschon Zajac darauf bestanden hatte, daß Rudy während der Sexszene im Auto die Augen zumachte.)
    Was das Modell einer Reihe von Fotos einer jungen Frau in verschiedenen Stadien der Schwangerschaft anging ... nun ja, wie zu erwarten, fühlte sich Wallingford von ihrer kruden Sinnlichkeit angezogen. Das mußte Irma, nach ihren eigenen Worten Mrs. Zajac, sein, mit der Patrick telefoniert hatte. Daß sie Zwillinge erwartete, erfuhr er erst, als er sich nach den leeren Bilderrahmen erkundigte, die jeweils paarweise an einem halben Dutzend Stellen an der Wand hingen. »Die sind für die Zwillinge, sobald sie auf der Welt sind«, erzählte Zajac stolz.
    Bei Schatzman, Gingeleskie, Mengerink, Zajac & Partner beneidete kein Mensch Zajac darum, daß er Zwillinge bekam, obwohl Mengerink, dieser Trottel, dafürhielt, daß Zajac Zwillinge verdiente, weil er Irma zweimal so oft vögelte, wie es in Mengerinks Augen »normal« war. Schatzman hatte keine Meinung zur bevorstehenden Geburt von Dr. Zajacs Zwillingen, weil er über den Ruhestand hinaus war - er war gestorben. Und Gingeleskie (der noch lebende) hatte seinen Neid auf Zajac in noch virulenterer Form auf einen jüngeren Kollegen übertragen, den Zajac in die Gemeinschaftspraxis mitgebracht hatte. Nathan Blaustein war in Harvard Zajacs bester Student in klinischer Chirurgie gewesen. Dr. Zajac beneidete Blaustein kein bißchen. Er erkannte schlicht an, daß Blaustein ihm technisch überlegen war - »ein handwerkliches Genie«. Als einem Zehnjährigen in New Hampshire von einer Schneeschleuder der Daumen abgehackt wurde, hatte Dr. Zajac darauf bestanden, daß Blaustein die fällig werdende Operation durchführte. Der Daumen war in fürchterlichem Zustand und außerdem ungleichmäßig gefroren. Der Vater des Jungen hatte fast eine Stunde gebraucht, um den abgetrennten Daumen im Schnee zu finden; dann mußte die Familie zwei Stunden bis Boston fahren. Doch die Operation war ein Erfolg gewesen. Zajac bearbeitete seine Kollegen bereits, Blausteins Namen in das Türschild und den Briefkopf der Praxis aufzunehmen - eine Forderung, angesichts deren Mengerink vor Wut schäumte und Schatzman und Gingeleskie (der tote) sich zweifellos im Grabe herumdrehten.
    Was Zajacs Ambitionen auf dem Gebiet der Handtransplantation anging, so war mittlerweile Blaustein für solche Operationen zuständig. (Es würde bald viele Operationen dieser Art geben, hatte Zajac vorausgesagt.) Zajac erklärte sich gern bereit, dem Team anzugehören, war jedoch der Überzeugung, daß der junge Blaustein die Operation leiten sollte, weil er mittlerweile der beste Chirurg von ihnen war. Er empfand deswegen keinerlei Neid oder Groll. Ganz unerwartet, auch für ihn selbst, war Dr. Nicholas M. Zajac ein glücklicher, entspannter Mensch. Seit Wallingford Otto Clausens Hand verloren hatte, gab sich Dr. Zajac mit seinen Neuentwicklungen prothetischer Hilfen zufrieden, die er an seinem Küchentisch konstruierte und zusammenbaute, während er seinen Singvögeln zuhörte. Patrick Wallingford war das perfekte Versuchskaninchen für Zajacs Erfindungen, weil er bereit war, jede neue Prothese in seiner abendlichen Nachrichtensendung vorzuführen - obwohl er es vorzog, selbst keine Prothese zu tragen. Die Publicity hatte dem Arzt genützt.
    Mittlerweile wurde eine von ihm erfundene Prothese - sie hieß, wie

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